Der gestohlene Traum
Schwierigkeiten zu bringen.«
Der Untersuchungsführer legte auf, warf seine Brille unmutig auf den Tisch und bedeckte die Augen mit der Hand. Ob die Kamenskaja ihrem Chef womöglich doch etwas über Larzew gesteckt hatte? Dann hatte der gewiefte Gordejew ihn auf einem lahmen Esel überholt, wie man im Volksmund sagte. In diesem Fall wusste er, dass Olschanskij sich in Bezug auf Larzew alle Fragen verkneifen musste. Nun konnte man ihm im Fall Jeremina mit jedem Ansinnen kommen, ohne befürchten zu müssen, dass er ablehnte. Die Frage war, was Knüppelchen eigentlich vorhatte. Hatte er im Wissen um den schwachen Charakter des Untersuchungsführers womöglich etwas verlangt, das nicht mit den Interessen der Rechtsprechung zu vereinbaren war? Sie waren sehr unterschiedliche Menschen, Oberst Gordejew und der Staatsrat der Justiz Olschanskij. Gordejew war zutiefst überzeugt von der Professionalität und Aufrichtigkeit des Untersuchungsführers. Konstantin Michajlowitsch hingegen war von niemandem überzeugt, er traute niemandem, denn er war sich immer bewusst, dass selbst der anständigste Mensch und überlegenste Profi nur ein Mensch war und keine Denkmaschine, die gegen Gefühle gefeit war.
Olschanskij zögerte einen Moment, dann nahm er den Telefonhörer ab, machte Larzew ausfindig und lud ihn mit seiner Tochter zu sich nach Hause ein, zum letzten Plinsenessen im alten Jahr, wie er sich ausdrückte.
* * *
Guter Gott, seit Nataschas Tod ist er ganz grau geworden, dachte Olschanskij, während er Wolodja Larzew ansah, der fröhlich mit seiner Frau Nina und seinen Töchtern plauderte. Seit Larzew verwitwet war, umsorgte Nina ihn liebevoll. Wenn sie während der Schulferien mit ihren Töchtern verreiste, nahm sie nach Möglichkeit auch seine Tochter Nadja mit, sie lud die beiden regelmäßig zum Abendbrot und zum Sonntagsessen ein und half mit schwierigen Einkäufen. Ich habe jetzt anderthalb Männer und drei Töchter, scherzte sie sogar gelegentlich.
»Warum nur anderthalb und nicht zwei?«, fragte Konstantin Michajlowitsch, der diesen Scherz zum ersten Mal gehört hatte.
»Weil Wolodja zum ganzen Mann nicht taugt. Meine Sorge um ihn ist schließlich ganz einseitig«, lachte Nina.
Während Olschanskij seine nichts ahnende Frau und den Freund ansah, rang er innerlich um die Kraft, die er brauchen würde, um den ersten Satz zu sagen, sobald seine Frau die Küche verlassen haben würde. Endlich ging sie hinaus zum Telefon, und Konstantin Michajlowitsch stockte der Atem.
»Ist mit dir alles in Ordnung, Wolodja?«, fragte er endlich gepresst.
Gott allein wusste, wie sehr Olschanskij darauf hoffte, ein fröhliches Erstaunen im Gesicht seines Freundes zu erblicken, sein kurzes Lachen zu hören und die gewohnte scherzhafte Antwort zu bekommen. Stattdessen verengten Wolodjas Augen sich zu eisigen Schlitzen, und Olschanskij begriff sofort, dass seine Hoffnung sich nicht erfüllen würde.
»Warum fragst du mich das, Kostja? Mit mir ist schon seit über einem Jahr nicht mehr alles in Ordnung, aber das ist dir bekannt.«
»Ich meine etwas anderes.«
»Was meinst du denn?«
»Du hast in deiner Arbeit nachgelassen. Verzeih mir, Wolodja, ich verstehe alles, aber so geht es trotzdem nicht. . .«
»Wie geht es nicht?«
Olschanskij hatte im Laufe seiner langen Dienstzeit schon so viele Verhöre durchgeführt, dass er das Gespräch nicht mehr fortsetzen musste. Es war bereits alles klar. Larzew rechtfertigte sich nicht, versuchte nicht, etwas zu erklären, er stellte Gegenfragen, drückte sich um eine Antwort und versuchte zu verstehen, was sein Freund über ihn wusste. Der Untersuchungsführer seufzte tief auf. Also handelte es sich nicht einfach nur um gewöhnliche Schlamperei, sondern um etwas sehr viel Ernsteres. Offenbar hatte man Wolodja fest im Griff.
»Hör zu, wenn du nichts erzählen willst, ist das deine Sache. Natürlich ist es traurig für mich, wenn du mir etwas verschweigst, aber . . .«
»Was aber?«, fragte Larzew kalt.
»Es wird nicht mehr lange dauern, bis du Ärger bekommst.«
»Warum?«
»Weil in deinen Protokollen, in allen Schriftstücken, die du anfertigst, etwas nicht mehr stimmt. Hältst du mich für so dumm, dass ich das nicht bemerke?«
»Du hast es also bemerkt.«
Larzew lachte auf und griff nach einer Zigarette.
»Ja, stell dir vor, ich habe es bemerkt. Ich habe nur lange so getan, als würde mir nichts auffallen. Aber so kann es nicht weitergehen.«
»Warum?«, fragte Larzew, der
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