Der gestohlene Traum
sie Ljoscha an.
»Sieh mal, was ich angerichtet habe. Was machen wir nun damit?«
»Kochen«, erwiderte der Doktor der Wissenschaften ungerührt, insgeheim froh darüber, dass Nastja wenigstens für den Moment ihre düsteren Gedanken vergessen hatte.
»Aber so viel können wir doch nicht essen . . .«
»Das werden wir auch nicht tun, jedenfalls nicht auf einmal. Einen Teil essen wir heute, den Rest braten wir nach und nach, mit Eiern oder mit Büchsenfleisch.«
»Du hast Recht«, sagte Nastja mit einem verwirrten Lächeln. »Darauf bin ich nicht gekommen, weil ich nie vorkoche.«
»Du kochst überhaupt nicht, also hör auf, dich zu rechtfertigen. Nimm einen kleinen Topf.«
»Wozu?«
»Willst du warten, bis dieser ganze Kübel gar ist? Für jetzt kochen wir uns einen kleinen Topf, und den Rest stellen wir auf eine zweite Flamme. Verstanden?«
»Wie einfach . . . Was ist mit mir los, Ljoscha? Ich bin völlig kopflos und kapiere die einfachsten Dinge nicht mehr.«
»Du bist müde, Nastjenka.«
»Ja, ich bin müde. Warum ruft Andrej nicht an?«
»Er wird schon anrufen, reg dich nicht auf.«
Als der Anruf kam, war Nastja an der Grenze zur Hysterie.
»Was ist?«, fragte sie atemlos.
»Nichts. Acht Leichen, aber keine, die uns etwas angeht. Fünf Brandstiftungen, aber keine hat etwas mit unserem Fall zu tun.«
»Andrej, ich habe große Angst. Was soll ich tun? Hast du eine Idee?«
»Vorläufig nicht, aber morgen wird mir etwas einfallen. Ich hole dich um acht Uhr ab.«
»In Ordnung.«
ELFTES KAPITEL
Konstantin Michajlowitsch Olschanskij war ein guter Mensch, und er wusste das. Viele andere konnten sich zurückhalten und schweigen, wenn sie unzufrieden waren, wenn sie sich gekränkt fühlten oder etwas nicht verstanden, sie konnten ihren Ärger hinunterschlucken und Monate und Jahre so leben, ohne klärende Gespräche zu suchen und die Dinge auf den Punkt zu bringen. Konstantin Michajlowitsch hingegen war ganz anders. Ein Psychologe hätte wahrscheinlich gesagt, dass er nicht sehr konfliktfähig war.
Er wusste schon seit langer Zeit, dass mit Wolodja Larzew etwas nicht stimmte. Zu Anfang hatte er versucht, seine düsteren Gedanken zu verdrängen und die offensichtlichen Schnitzer, die sein Freund sich bei der Arbeit leistete, mit der Tragödie zu erklären, die ihm widerfahren war. Er hoffte inständig, dass niemand außer ihm selbst merkte, dass Wolodja einen Fehler nach dem anderen machte. Aber seit dem Gespräch mit der Kamenskaja, die die Dinge beim Namen genannt hatte, fühle Olschanskij sich ausgesprochen unwohl, obwohl Anastasija ganz offensichtlich bereit war, alle Augen zuzudrücken und für sich zu behalten, was sie wusste. Dafür war Konstantin Michajlowitsch ihr dankbar. Aber mit jedem Tag wurde es schwerer, zu schweigen und so zu tun, als sei alles in Ordnung.
Ein Anruf von Oberst Gordejew erwies sich als der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Gordejew hatte ihn gebeten, keine Fristverlängerung für die Voruntersuchung beim Staatsanwalt zu beantragen, sondern die Ermittlungen im Fall Jeremina einzustellen, obwohl durchaus brauchbare Ansätze zu seiner Aufklärung vorhanden waren und man bereits einen Hauptverdächtigen im Visier hatte. Olschanskij kannte Gordejew schon sehr lange und wusste, dass seine Bitte schwerwiegende Gründe haben musste. In einer anderen Situation hätte er vielleicht Erklärungen und handfeste Argumente verlangt, aber jetzt fürchtete er sich davor, das Gespräch zu vertiefen, weil es früher oder später die Anfangsphase der Ermittlungen und damit unweigerlich auch Larzew berührt hätte. Und dazu war Konstantin Michajlowitsch nicht bereit. Denn weder für den Oberst noch für seine Untergebenen war seine Freundschaft mit Wolodja ein Geheimnis. Olschanskij hätte so tun müssen, als bemerkte er nichts von den Fahrlässigkeiten seines Freundes, womit er professionelle Inkompetenz eingestanden hätte, oder er hätte sein Verhalten in Bezug auf Major Larzew irgendwie erklären müssen. Olschanskij tat weder das eine noch das andere, sondern holte nur tief Luft und gab Gordejew eine zurückhaltende Antwort.
»Ich glaube Ihnen aufs Wort, Sie haben mich bis jetzt noch nie in Schwierigkeiten gebracht. Am dritten Januar ist die Zweimonatsfrist verstrichen, und gleich nach den Neujahrsfeiertagen werde ich die Einstellung der Ermittlungen anordnen. Sind Sie einverstanden?«
»Danke, Konstantin Michajlowitsch, ich werde alles tun, um Sie auch diesmal nicht in
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