Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
Vom Netzwerk:
aufgestanden war und einen Aschenbecher aus dem Regal holte.
    Verdammt, dachte Konstantin Michajlowitsch, nicht ich stelle ihm die Fragen, sondern er mir. Er hat die Ruhe weg, während mir der Schweiß ausbricht vor Aufregung.
    »Weil das inzwischen nicht nur ich gemerkt habe.«
    »Wer denn noch?«
    »Die Kamenskaja. Sie hat alle deine Zeugen noch einmal befragt. Ist dir das bekannt? Du hast zehn Tage gebraucht, um diesen Mist zu fabrizieren, und sie musste noch einmal von vorn anfangen. Das hat noch einmal zehn Tage gedauert. Und fast alles war umsonst, weil Zeugenaussagen nach zwanzig Tagen nicht mehr viel wert sind. Das weißt du nur allzu gut. Zwanzig von den sechzig Tagen, die wir für die Voruntersuchung haben, sind verloren. Willst du mir nichts dazu sagen?«
    In der Küche wurde es still. Olschanskij stand am Fenster und hörte nur das scharfe Geräusch, mit dem Wolodja hinter ihm den Rauch seiner Zigarette ausblies. Er drehte sich um und stieß auf ein strahlendes Lächeln in Larzews Gesicht.
    »Bist du so gut gelaunt?«, fragte Konstantin Michajlowitsch düster.
    »Ja, das bin ich«, erwiderte Wolodja. »Danke, Kostja. Ich danke dir, dass du es mir gesagt hast. Ist nur schade, dass du es nicht gleich getan hast. Warum hast du so lange gewartet?«
    »Ich musste erst Mut fassen. Wofür dankst du mir?«
    »Irgendwann wirst du es erfahren .. . Nina!«, rief Larzew. »Wie lange willst du noch an der Strippe hängen? Komm her und lass uns auf deinen Mann trinken. Er ist ein prima Kerl.«
    Olschanskij, der prima Kerl, empfand Enttäuschung und Erleichterung gleichzeitig. Er war froh, dass Larzew nicht beleidigt war, dass er nicht versucht hatte, sich zu rechtfertigen, und dass er nicht grob geworden war. Schlecht war nur, dass Larzew weder ja noch nein noch vielleicht gesagt hatte. Er hatte es vorgezogen, sich mit einem Scherz aus der Affäre zu ziehen, und seine Fröhlichkeit hatte dabei keinesfalls künstlich gewirkt. Und Olschanskij konnte natürliche Fröhlichkeit von gespielter durchaus unterscheiden. Was ging mit Wolodja vor sich?
    * * *
    Die elfjährige Nadja Larzewa war ein folgsames und sehr selbständiges Mädchen. Zum ersten Mal musste sie Hausfrauenpflichten übernehmen, als ihre Mutter mehrere Monate im Krankenhaus lag. Damals hatte der Vater der achtjährigen Nadja, die bis dahin an der Hand ihrer Mutter durch die Welt gegangen war, die Verhaltensregeln zu predigen begonnen, die sie zu ihrer Sicherheit beachten musste. Nach dem Tod der Mutter hatte Nadja sich schnell daran gewöhnt, allein zu Hause zu bleiben und ihre Probleme ohne fremde Hilfe zu lösen. Insgeheim hielt sie sich für völlig erwachsen und ärgerte sich über ihren Vater, der sie ständig vor den Onkels und Tanten warnte, von denen man sich nicht auf der Straße ansprechen lassen durfte. Nadja sollte auf keinen Fall Geschenke von ihnen annehmen oder ihnen sogar folgen, ganz egal, was sie ihr versprachen. Das versteht sich doch von selbst, dachte Nadja jedes Mal empört, mein Vater scheint mich für völlig dumm zu halten.
    Ganze Tage sich selbst überlassen, vernachlässigte Nadja ihre Hausaufgaben und las stattdessen eine Vielzahl »erwachsener Bücher«, vorzugsweise Krimis, die Larzew seinerzeit stapelweise für seine kranke Frau mit nach Hause gebracht hatte. Aus diesen Büchern erfuhr sie, was mit allzu vertrauensseligen Kindern geschehen konnte, sie war immer auf der Hut und sprach innerlich oft die Verhaltensregeln ihres Vaters nach. Den Hauseingang niemals allein betreten, sondern immer auf einen Nachbarn warten, den man kennt. Auf der Straße niemals zu nah an die Fahrbahn herangehen. Menschenleere Straßen meiden. Nicht mit Fremden sprechen. Niemals nach Hause laufen, wenn man unterwegs belästigt wird, sondern das nächste Lebensmittelgeschäft betreten, dort warten, bis ein Nachbar erscheint, und erst mit diesem zusammen nach Hause gehen. Es waren sehr viele Regeln, und fast alle erschienen Nadja durchaus vernünftig. Sie verstand nur nicht, warum man keine Geschenke von Fremden annehmen durfte. Larzew erklärte es seiner Tochter immer wieder. Wenn du ein Geschenk annimmst, sagte er, wirst du dich verpflichtet fühlen und nicht mehr ohne weiteres nein sagen können, wenn der Fremde etwas von dir will, außerdem kann in dem Geschenk etwas versteckt sein, zum Beispiel Geld oder ein Brillantring, und dann würde es große Unannehmlichkeiten geben. Aber was immer Larzew sagte, es war umsonst.
    »Ich verstehe es nicht«,

Weitere Kostenlose Bücher