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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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kann?«
    »Gradow?«, fragte die Bassstimme im Hörer erstaunt. »Ich kann mich an Ihren Namen nicht erinnern. Wer sind Sie?«
    »Aber ich habe Sie doch vor zwei Monaten angerufen, Pjotr Nikolajewitsch, und Sie haben mir damals die Telefonnummer des Mannes gegeben, der mir in einer heiklen Situation helfen sollte. Ich muss dringend mit diesem Mann sprechen.«
    »Ich verstehe nicht, wovon Sie reden. Haben Sie sich vielleicht verwählt?«
    Gradow zweifelte nicht daran, dass der vorsichtige und vorausschauende Arsenn sofort nach dem Gespräch mit ihm bei Pjotr Nikolajewitsch angerufen und ihm gesagt hatte, dass er für Gradow nicht mehr zu sprechen war.
    Sergej Alexandrowitsch dachte mit Entsetzen daran, dass nun alles verloren war. Er würde Arsenn nicht finden, niemals mehr. Es blieb nur noch eine letzte Hoffnung. Diese letzte Hoffnung war Fistin.
    * * *
    Sergej Gradow war ein verwöhntes, verzärteltes Kind. Er litt sehr darunter, dass alle seine Freunde einen Vater hatten, mit dem sie zusammenlebten, er hingegen nur einen, der gelegentlich zu Besuch kam. Und auch dann schickte ihn die Mutter meistens zum Spielen hinunter in den Hof. Der Vater brachte ihm immer Geschenke mit, Spielsachen und Süßigkeiten, die Mutter liebte ihn über alles und erklärte Sergej immer wieder: Dein Papa ist der beste von allen, er hat einfach eine andere Frau und zwei Kinder, die er als verantwortungsvoller Mensch nicht verlassen kann. Und der Vater sagte oft: Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst, Söhnchen, du kannst immer auf mich zählen, du und deine Mutter seid mir die liebsten Menschen auf der Welt. In seiner Kindheit und Jugend machte Sergej oft Dummheiten, aber er wurde nie bestraft, im Gegenteil, seine Eltern fühlten sich schuldig vor ihm, weil er ohne richtige Familie aufwachsen musste, sie brachten die Dinge jedes Mal selbst wieder in Ordnung und schimpften ihren Sohn nicht, sondern schienen ihn zu bedauern.
    Mit den Jahren wurde Sergej immer unfähiger, über die Folgen seines Verhaltens nachzudenken und wenigstens einen einzigen Schritt vorauszudenken. Er tat, was ihm gerade einfiel, und überließ seinen Eltern die ehrenvolle Aufgabe, sich mit den Folgen seiner unbedachten und manchmal gefährlichen Handlungen herumzuschlagen.
    Nach der Armee besorgte der Vater Sergej einen Studienplatz im Institut für internationale Beziehungen. Dort studierten vor allem die Kinder hoch gestellter Eltern, denen es dank ihrer Beziehungen gelungen war, ihrem Nachwuchs gleich nach dem Schulabschluss ein Studium zu ermöglichen. Deshalb gab es an diesem Institut nicht viele Studenten, die den Armeedienst abgeleistet hatten. Sie waren bewunderte Ausnahmen, richtige, erwachsene Männer, die die harte Schule des Militärs hinter sich hatten. Sie erzählten schmutzige Witze, konnten von Weibergeschichten und Saufgelagen berichten und hatten die derben Manieren der Soldateska.
    Am meisten fühlte Sergej sich zu Arkadij Nikifortschuk hingezogen, der ihm selbst so unähnlich war. Arkadij war als Diplomatensohn im Ausland aufgewachsen, seine Kindheit hatte aus Lesen, Klavierspielen und Sprachstudien bestanden. Er hatte meistens nur seine Mutter um sich und briet im Saft des sowjetischen Diplomatenghettos. Die letzte Schulklasse absolvierte er in Moskau und trat danach sofort sein Studium an. Nachdem er die Freiheit des Studentenlebens kennen gelernt hatte und voll und ganz unter Gradows Einfluss geraten war, gingen die Pferde mit ihm durch. Seine Eltern, die erneut für längere Zeit ins Ausland gefahren waren, überließen ihrem Sohn ihre Wohnung und versorgten ihn regelmäßig mit Geld und modischen Klamotten.
    Nach dem, was im Wald geschehen war, hatten Gradow und Nikifortschuk keine großen Schwierigkeiten, sich mit Geld von dem Ehemann des Opfers loszukaufen. Sie verkauften mal dies, mal jenes von den Sachen, die Arkadijs Eltern regelmäßig aus dem Ausland schickten. Aber Gradow, der seine Mutter nicht um Geld bitten konnte, wollte nicht ewig in der Schuld seines reichen Freundes stehen.
    Die Idee, den aufsässigen Erpresser loszuwerden, stammte von Gradow. Tamara Jeremina war eine Bekannte von ihm, und es fiel ihm nicht schwer, Vitalij Lutschnikow nach einer der obligatorischen Geldübergaben zu einem gemeinsamen Besuch bei einer »offenherzigen Dame« zu überreden. Sehr schnell gelang es ihnen, Tamara besinnungslos betrunken zu machen und in ihr Bett zu befördern. Lutschnikow machte es ihnen nicht ganz so einfach, aber schließlich

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