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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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verbreiteten Namen handelte und alles nichts als Zufall war.
    Aber es erwies sich als nicht so einfach, das quälende Interesse an Vika loszuwerden. Arkadij bot ihr an, sie nach Hause zu fahren, und blieb bis zum nächsten Morgen bei ihr. Mitten in der Nacht erwachte sie plötzlich schreiend, schweißgebadet, tränennass, sie sprang aus dem Bett, goss sich ein Glas Wodka ein, kippte es hinunter und erzählte Nikifortschuk ihren Albtraum. Sie schluchzte hysterisch, musste sich erbrechen, Arkadij trocknete ihr die Tränen und dachte mit Entsetzen daran, was er und Gradow diesem Mädchen angetan hatten. Sie waren schuld an ihrem verpfuschten Leben und ihrer beschädigten Psyche. Er empfand qualvolles Mitleid mit Vika und ebenso qualvolle Scham. Zwanzig Jahre hatte er unter Schuldgefühlen gelitten, die Begegnung mit Vika hatte ihm den Rest gegeben.
    Am nächsten Morgen rief er Gradow an und faselte etwas davon, dass sie Vika helfen müssten, sie seien schuld an ihrem verpfuschten Leben und hätten eine schwere Sünde begangen. Für den Moment gelang es Gradow, seinen Freund ein wenig zu beruhigen.
    »Wem willst du denn helfen?«, sagte er besänftigend, »du kommst doch keinen einzigen Tag ohne Alkohol aus. Lass uns erst einmal dein eigenes Leben in Ordnung bringen, und dann denken wir darüber nach, wie wir dem Mädchen helfen können. Ich bringe dich zu meinem Arzt, er setzt dir ein Antidot zum Alkohol, und wenn es dir wieder besser geht, werden wir weitersehen.«
    Zunächst schien es, als sei es Gradow wirklich gelungen, seinen Freund zu beschwichtigen, aber dann begann Arkadij, ihn immer öfter nachts anzurufen und Wahnideen zu äußern. Er drohte damit, Hand an sich zu legen und einen Brief mit einem Schuldbekenntnis zu hinterlassen oder zu einem Priester zu gehen und eine Beichte abzulegen oder Vika alles zu gestehen und Vergebung von ihr zu erbitten. Gradow begriff, dass Nikifortschuk gefähr-lich geworden war. Und er traf, wie immer, eine brutale und radikale Entscheidung.
    * * *
    »Wie geht es ihr?«, fragte Arsenn leise. Er fröstelte und wärmte sich die kalten Hände mit seinem Atem.
    Im Zimmer war es halbdunkel, man hörte nur das leise Geräusch des EKG-Gerätes. Der Schreiber warf geheimnisvolle Kurven und Zacken aus, die die verschlüsselte Antwort auf die gestellte Frage gaben.
    »Bis jetzt hält sie sich ganz gut«, erwiderte der Arzt, während er die Elektroden vom Körper des Mädchens nahm und den Apparat wieder in seinem Koffer verstaute. »Stabiler Puls, reine Herztöne.«
    »Aber so wird es wahrscheinlich nicht mehr lange bleiben, oder?«, fragte Arsenn nach.
    »Was soll ich Ihnen sagen. . .«, murmelte der Arzt ausweichend. »Sagen Sie mir, was Sie wünschen, dann sage ich Ihnen, was ich tun kann.«
    Er sah Arsenn unterwürfig an, wozu er seinen Kopf weit nach unten senken musste, da Arsenn sehr viel kleiner war als er.
    »Richten Sie sich nicht nach mir«, erwiderte Arsenn scharf. »Sie sind der Arzt, sagen Sie mir klipp und klar, wie lange wir dem Mädchen das Präparat noch verabreichen können, ohne seiner Gesundheit zu schaden. Wenn ich weiß, wie viel Zeit wir noch haben, werde ich eine entsprechende Entscheidung treffen.«
    »Nun ja . . .« Der Arzt wollte es Arsenn recht machen und versuchte zu verstehen, was er von ihm hören wollte. »Im Prinzip . . . Das hängt von ihrer Herztätigkeit ab . . . Ich weiß nicht, wie stabil sie ist, ob sie in letzter Zeit vielleicht schwere Erkrankungen durchgemacht hat.«
    »Hören Sie auf, mir blauen Dunst vorzumachen«, sagte Arsenn verärgert. »Mit Ihrer Frau ist die Zusammenarbeit viel einfacher als mit Ihnen. Sie kann die Situation und ihre eigenen Möglichkeiten immer genau einschätzen, sie fürchtet sich nicht vor präzisen Aussagen. Ich bezahle Sie als Fachmann und erwarte von Ihnen, dass Sie einen Standpunkt vertreten. Wenn ich medizinische Fragen selbst lösen könnte, würde ich Ihnen nicht so viel bezahlen für Ihre Dienste. Seien Sie also so freundlich, und tun Sie etwas für Ihr Geld. Sie haben dem Mädchen eben eine Spritze gegeben. Wie lange wird sie wirken?«
    »Zwölf Stunden.«
    »Das heißt, morgen früh um acht müssen wir erneut spritzen?«
    »Nun . . . Im Prinzip schon.«
    »Was heißt im Prinzip?«
    »Das ist riskant. Die nächste Spritze kann sie umbringen. Es kann sein, dass sie nicht mehr aufwacht.«
    »Gut, jetzt beginnt sich die Situation wenigstens etwas zu klären«, brummte Arsenn. »Ist es im Prinzip möglich, dass

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