Der Gipfel
diese Bestellung kümmern.
Hocherfreut über ihre Vereinbarung trennten sich Boukreev und Fischer. Zum ersten Mal seit Jahren rechnete sich Boukreev echte Chancen aus. Fischer wollte ihm auf seinen Vertrag einen Vorschuß geben, so daß er nicht Teile seiner Ausrüstung verkaufen mußte, um sich ein Ticket für den Heimflug leisten zu können. Auch Fischer konnte zufrieden sein. Er hatte sich für die Expedition und seine Kunden einen der stärksten Himalaja-Bergsteiger überhaupt gesichert – zu einem ganz bestimmten Zweck, wie er Freunden gegenüber später erklärte: »Wenn wir in die Patsche geraten, wird Anatoli da sein und uns vom Berg runterholen.«
Karen Dickinson blieb Fischers Begeisterung über Boukreevs Teilnahme deutlich in Erinnerung. »Ich hörte, wie Scott sagte: ›Einen besseren als Anatoli kann man sich für so eine Unternehmung gar nicht wünschen. Wer weiß schon, was alles passieren wird?‹«
5 Wenige Monate nach seiner Rettung sollte Gary Ball auf dem Dhaulagiri demselben Leiden erliegen.
3. Kapitel Vereinbarungen und Geschäfte
Da ich Scott für seine Einladung zur Everest-Expedition dankbar war, lag mir sehr daran, möglichst eng mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich dachte an meine Freunde, Bergsteiger wie ich, denen sich eine solche Chance nie bieten würde. Ihre Träume waren der wirtschaftlichen Misere nach dem Zusammenbruch der UdSSR zum Opfer gefallen, und viele würden nie wieder professionell bergsteigen können. Ich dachte an die große Zahl derer, die bei ihren ehrgeizigen Bemühungen um das Sowjet-Bergsteigen ihr Leben gelassen hatten und bereits zur Legende geworden waren. Es ist eine Schande, sagte ich mir, daß das, wofür so viele gestorben sind, nun selbst eines langsamen Todes stirbt.
Anfang November setzten Boukreev und die Mitglieder des kasachischen Teams ihre Vorbereitungen für den Manaslu fort. Obwohl er von seiner Besteigung des Dhaulagiri vor einem Monat noch immer psychisch und physisch erschöpft war, konzentrierte sich Boukreev voll und ganz auf die neue Aufgabe. Wie alle Unternehmungen in großer Höhe barg auch diese ihre Risiken. Dazu kam, daß es eine Winterbesteigung war und einige Teilnehmer jung und relativ unerfahren waren. All das zusammen – die Tücken des Winterwetters und die Unerfahrenheit der Jungen – vergrößerte die Chancen nicht gerade. Trotzdem zeigte sich Boukreev nicht übermäßig besorgt, da er auf die Stärke der älteren Kletterer setzte, von denen einige mit ihm 1989 den Kangchendzönga (8586 Meter) bezwungen hatten. Später sollte er sagen: »Das Ende eines jeden Weges ist nur der Anfang eines neuen, längeren und schwierigeren.« Der Weg auf den Manaslu sollte sich um ein Haar als verhängnisvoll erweisen.
Auch Fischer, der nach Dänemark geflogen war, nachdem er sich Boukreevs Teilnahme gesichert hatte, stand am Anfang eines Weges, als er das Team für den Everest zusammenzustellen begann. In Kopenhagen war ein Treffen mit Lene Gammelgaard vorgesehen. Seit er der Vierunddreißigjährigen – Anwältin, Therapeutin und Abenteuerin in einer Person – 1991 im Himalaja begegnet war, hatte er einen sehr persönlichen Briefwechsel mit ihr geführt und ihr offen seine beruflichen und persönlichen Probleme geschildert. Lene hatte von ihrem Leben, ihren Zielen und ihrer Liebe zu den Bergen geschrieben, und beide schmiedeten Zukunftspläne. Lene erinnerte sich: »Nachdem wir uns 1991 begegnet waren, schrieben wir einander und dachten, wir würden uns wieder treffen und irgendwo in Europa oder Alaska klettern. 1995 war es dann endlich soweit.«
Fischer hatte Lene ermutigt, sich 1995 seiner Expedition zum Broad Peak anzuschließen und ihren ersten Achttausender zu machen, jedoch hatte sie sich zwischenzeitlich anders entschieden. Die »ganz Großen« wollte sie nicht mehr anpacken. Sie hatte sich neue Ziele gesetzt, die sie in Pakistan mit Fischer besprach.
»Als ich hinflog, wußte ich, daß die Bergsteigerei hinter mir lag«, sagte sie. »Ich wollte Familie und Kinder, ein Zuhause; meinen Elan zwar nicht aufgeben, aber keine Berge mehr besteigen.«
Während Fischer und Lene Gammelgaard auf dem Treckingpfad zum Broad-Peak-Basislager wanderten, teilte sie ihm ihren Entschluß mit. »Es war für mich eine Art Wendepunkt, an dem ich mir sagte: ›Okay, ich gebe mich mit dem Treck zufrieden; mal sehen, ob es mir Spaß macht.‹ Es war also eine ganz bewußte Entscheidung, etwa nach dem Motto: ›Ich bin jetzt erwachsen und
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