Der Gipfel
durchziehen. Deshalb sagten wir 1996 ganz einfach: ›Klar, wir haben die Genehmigung.‹ Aber erst im Februar hatten wir sie dann wirklich in der Hand.«
Scott fragte mich, was ich denn in Kathmandu triebe. Ich sagte, ich käme eben vom Dhaulagiri, von meiner zweiten Besteigung. »Hast du eine Gruppe geführt?« fragte er mich. »Nein, es war reiner Sport«, gab ich zurück. »Ich hatte die Chance, mich an eine georgische Expedition anzuhängen, und es wurde ein Aufstieg in Rekord zeit.« Ich glaube, daß Scott sich wunderte. »Du hast also keine zahlenden Kunden geführt?« fragte er lachend. Meine Taschen waren mittlerweile fast leer, und seine Frage war nicht unberechtigt. Scott kannte die Lage in der ehemaligen Sowjetunion, wo es für Bergsteiger so gut wie keine staatlichen Mittel mehr gibt. Wie ich hatte auch er gehört, daß unser gemeinsamer Freund Vladimir Balyberdin, der seinen Privatwagen als ›wildes‹ Taxi fuhr, dabei ums Leben gekommen war.
Da ich nicht ständig von den schlechten Zeiten reden wollte, sagte ich zu Scott: »Nächsten Monat mache ich mit einem Team aus Kasachstan den Manaslu. Möchtest du mitkommen?« Erst war er still und begriff erst nach einer Weile, daß es mir ernst war. Da lachte er wieder und sagte, wie sehr er mich um meine extremen Abenteuer beneide.
Scott wußte wie ich, daß noch kein Amerikaner den Manaslu bezwungen hatte. »Du könntest der erste sein«, sagte ich. Er zog die Brauen hoch, in seinen Augen leuchtete es auf. »Mensch, Anatoli, ich würde ja gern mitmachen, aber ich habe so unglaublich viel zu tun. Ich bin jetzt dabei, diese Everest-Tour für Mai zusammenzustellen; dann läuft ein Projekt am Kilimandscharo. Mann, ich würde es liebend gern machen, aber ich bin so verdammt eingespannt.«
Seine Reisen für Mountain Madness führten Scott durch die ganze Welt, fort von seiner geliebten Familie. In seinem Haus in West Seattle hatte er seine Sachen, dort wohnten seine Frau Jeannie und seine beiden Kinder. Doch er lebte meist aus dem Koffer oder aus einem Expeditionssack und war den Schikanen humorloser, ständig die Hand aufhaltender Zollbeamten ausgesetzt. »Auf Flughäfen mußte er häufig Leibesvisitationen über sich ergehen lassen«, berichtete Karen Dickinson. »Kein Wunder, er mit seinem Pferdeschwanz, seinem kleinen Goldohrring und seiner völlig irren Reiseroute – erst nach Thailand, dann nach Nepal und jetzt nach Afrika. Klar, daß die Leute vom Zoll immer fragen: ›Und was haben Sie dort vor?‹«
Ich versuchte, ihn aus seinem Trott zu reißen, ihn zu überreden, er solle etwas für sich tun und einfach so zu seinem Vergnügen klettern. »Ich bin ganz sicher, daß wir Erfolg haben werden«, sagte ich. »Wir sind ein starkes Team, und mit dir wäre es noch stärker. Mach mit!« Ich sah ihm an, wie schwer ihm die Ablehnung fiel, hin- und hergerissen zwischen seinen Geschäftsinteressen und seiner Liebe zu den Bergen. »Ich bin nicht so frei wie du«, sagte er. »Ich habe Verpflichtungen, ein Unternehmen, Familie.«
Ich hatte Verständnis für sein Dilemma. Für Extrembergsteiger ist es sehr schwierig, ihrer Leidenschaft zu frönen, ohne auf diese oder jene Weise kommerziell zu werden. Trotzdem war ich enttäuscht, als ich ihn so reden hörte.
Während Boukreev und Fischer sich unterhielten, sah Fischer immer wieder auf die Uhr. Er wollte seinen Termin im Ministerium für Touristik pünktlich einhalten, um den Beamten seinen Respekt zu bezeugen. Gute Beziehungen zur Bürokratie waren sehr wichtig. Ohne Ticket gab’s keinen Aufstieg.
Als Scott aufstand, fragte er mich, ob ich am nächsten Tag mit ihm in seinem Hotel, dem Manang, frühstücken wolle. Er hätte einiges mit mir zu besprechen.
Boukreev war nur zu gern zu diesem Treffen bereit, da er nach Chancen Ausschau hielt und wußte, daß Fischer seinen Tätigkeitsbereich ausweiten und neue Märkte erschließen wollte. Die Jahre seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren für Boukreev härter gewesen, als Fischer ahnte. Das Bergsteigen wurde in seiner Heimat nur mehr in beschränktem Umfang betrieben. Viele Bergsteiger aus Boukreevs Generation, darunter die besten Kletterer der Welt, litten bittere Not. Um ihre Familien zu ernähren, mußte ihr Ehrgeiz zurückstehen, während sie Berghütten bewirtschafteten oder für die Sprößlinge von Mafiabossen Skilehrer spielten – alles, um ihr tägliches Brot zu verdienen.
Boukreev hatte die mit dem Verlust staatlicher Förderung einhergehende
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