Der Gipfel
gibt vierzehn Achttausender, wovon acht in Nepal liegen oder nepalesisches Territorium berühren.
2. Kapitel Einladung Everest
Die Kletterrouten von Scott Fischer und Anatoli Boukreev hatten sich nie gekreuzt, obwohl es einige Gipfel gab, die beide bestiegen hatten. Durch einen gemeinsamen Freund, den weltweit anerkannten russischen Bergsteiger Vladimir Balyberdin, hatten sie voneinander gehört: Boukreev vom geselligen, furchtlosen Amerikaner, der 1992 als Mitglied einer russisch-amerikanischen Expedition den K2 bestiegen hatte; Fischer von dem für seine Alleingänge berühmten Gipfelstürmer, der sich der Einberufung zum Militär und den Kämpfen in Afghanistan entzogen hatte und statt dessen Berge bestieg und sich wegen seiner Ausdauer und seines Tempos in extremen Höhen rasch einen legendären Ruf erworben hatte. Im Mai 1994 sollten sie einander endlich begegnen.
Wir lernten uns auf einer Party in einem Restaurant in Kathmandu kennen, als Rob Hall den Erfolg seiner letzten Everest-Expedition feierte. Wir waren etwa sechzig Personen: Bergsteiger, Sherpas und Freunde, die alle eingeladen worden waren, um das Ende der Frühjahrs-Klettersaison in Nepal zu feiern. Die Welt der Höhenbergsteiger ist klein, und viele von uns kannten sich von früheren Expeditionen her, doch war es das erste Mal, daß ich sowohl Scott als auch Rob Hall kennenlernte. Ich hatte die erste kommerzielle Expedition auf den Makalu (8463 Meter) hinter mir, die mein Freund Thor Kieser aus Colorado leitete. Der Erfolg war mäßig, da nur drei von uns bis zum Gipfel gekommen waren, darunter Neal Beidleman aus Aspen, Colorado, und ich. Scott, Neal und ich feierten unseren Erfolg. Scott hatte nach drei Versuchen endlich den Gipfel des Mount Everest geschafft. Eine große Leistung, zumal es ihm ohne künstlichen Sauerstoff gelungen war.
Für mich war Scott der typische Amerikaner, wie man ihn sich in Rußland vorstellt. Er sah aus wie ein Filmstar, war groß und hübsch. Sein freundliches, offenes Lächeln wirkte ungemein anziehend.
Ich war der Meinung, daß Scott über das Potential eines hervor ragenden Höhenbergsteigers verfügte. Ich hatte das Glück, mit vielen der weltbesten Alpinisten zu klettern, und Scott hatte mit ihnen mithalten können. Obwohl er nicht so bekannt war, schätzte ich ihn ebenso wie den Amerikaner Ed Viesturs, den ich seit 1989 kannte. Ed, der neun der vierzehn Achttausender ohne Sauerstoffhilfe bestiegen hat, ist meiner Meinung nach der beste Höhenbergsteiger Amerikas.
Der Zufall führte Boukreev und Fischer im Oktober 1995 ein zweites Mal zusammen. Wieder waren sie in Kathmandu, Boukreev, um seine Bergkarriere voranzutreiben, Fischer, um mit dem nepalesischen Ministerium für Tourismus die Genehmigung für eine Everest-Expedition auszuhandeln.
Boukreev war von einem kasachischen Team zu einer für Herbst 1995 geplanten Expedition auf den Manaslu (8162 Meter) nach Nepal eingeladen worden. Sie sollte zum Gedächtnis einiger kasachischer Bergsteiger stattfinden, die 1990 diesem Berg zum Opfer gefallen waren. Boukreev, der den Ehrgeiz hatte, sämtliche Achttausender der Welt zu erklimmen, und den Manaslu noch nicht bestiegen hatte, war mit Freuden auf das Angebot eingegangen und trainierte eifrigst.
Wie andere ehemalige UdSSR-Staaten mußte auch Kasachstan um die Mittel für Bergsteigerförderung hart kämpfen. Für Boukreev kam daher die Ankündigung des Expeditionsleiters Ervand Ilinski nicht weiter überraschend, man hätte das benötigte Geld nicht auftreiben können und die Besteigung des Manaslu müsse auf Frühjahr 1996 verschoben werden.
Kurz vor meinem Abflug nach Nepal erfuhr ich, daß die Expedition abgeblasen worden war. Ich dachte mir, welchen Sinn hat es, in Almaty zu bleiben? Meine Chancen als Höhenbergsteiger sah ich vor allem im Himalaja, deshalb mußte ich dorthin. Wartete ich jetzt in Kasachstan auf eine Chance, konnte dies das Ende meiner Bergsteigerkarriere bedeuten. Deshalb flog ich nach Kathmandu in der Hoffnung, dort als Führer engagiert zu werden oder mich einer Achttausender-Expedition anschließen zu können.
In Kathmandu angekommen, fand ich keinen Job als Führer, traf aber ein paar Freunde aus Georgien, mit denen ich schon im Pamir und im Tien-Shan-Gebirge in Asien geklettert war.
Anders als die Kasachen hatten die Georgier das Geld für eine Besteigung des Dhaulagiri (8167 Meter) auftreiben können. Da sie Boukreevs Erfahrung für ihr Vorhaben nutzen wollten, luden sie ihn unter
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