Der Gipfel
ich wollte, daß alle mit heilen Gliedmaßen nach Hause zurückkehrten. Technische Verbesserungen bei Bekleidung und Schuhwerk machen Extremtemperaturen für Untrainierte leichter erträglich. Letztes Jahr hatte ich erlebt, was für einen Unter schied gute Ausrüstung ausmachen kann. Und für diese Gruppe würden wir ein besonders dickes Sicherheitspolster brauchen. Zum Glück zeigten die Organisatoren Einsicht und bemühten sich, in allem unseren Empfehlungen zu entsprechen. Unsere Ausrüstung wurde mit Hilfe von Thai Airlines, die über einen eigenen Service für sachgerechten Transport von Expeditionsausrüstungen verfügt, nach Kathmandu geflogen und sollte am 6. März eintreffen. Für den 12. März war unser Aufbruch ins Basislager geplant.
Im Januar und Februar absolvierten die vierunddreißig Teammitglieder ihren zweiten Trainingsabschnitt auf dem Island Peak (6189 Meter). Die sechzehn, die den Gipfel bezwangen, hatten auch den Paldor bestiegen. Sie verbrachten zwanzig Tage bei minus vierzig Grad und starken Winterstürmen. In drei Tagen und Nächten über 6000 Meter unter harten Bedingungen mußten die Männer täglich 1000 Meter in weniger als fünf Stunden auf- und absteigen. Es war das optimale Training. Jetzt kann ich selbst darüber nur den Kopf schütteln: Paldor, Island Peak, Everest. Als Trainingsprogramm nicht für jedermann zu empfehlen.
Wieder in Kathmandu, stellten Bashkirov und Vinogradski eine Liste für Col Eadi zusammen. Sie teilten die Kletterer nach Geschwindigkeit, Anpassung an die Höhe, allgemeinen Gesundheitszustand und Einstellung ein und nahmen eine Reihung von eins bis sechzehn vor. Die Armeeleute waren, wenn auch unerfahren, ehrgeiziger und disziplinierter und zeigten in schwierigen Situationen mehr Motivation. In der letzten Auswahlgruppe fanden sich zehn Soldaten und sechs Zivilisten. Wir empfahlen nur einen einzigen Aufstieg, und zwar von der Südseite aus, ein Vorschlag, der von den Indonesiern abgelehnt wurde. Sie hatten Richard Pavlowski zur Führung eines Everest-Teams gewonnen, das von Norden aus aufsteigen sollte. 42 Am Ende nahmen wir zehn Teilnehmer mit ins Basislager an der Südseite, während sechs mit Richard nach Tibet gingen. Nach dem Island Peak wurden den Teams sechsundzwanzig Ruhetage zugestanden. Wir sollten das erste Team sein, das in dieser Saison den Khumbu durchstieg. Mir lag daran, als erster am Berg zu sein und zum Gipfel aufzusteigen, da ich am Gipfeltag mit anderen Teams keinen Konkurrenzkampf austragen wollte.
Der russische Hubschrauber brachte uns aus dem Smog Kathmandus am 12. März nach Lukla (2850 Meter). Zehn Mitglieder, drei russische Alpinberater und sechzehn Sherpas gingen hier von Bord. Wir wollten ins Basislager und auf den höchsten Gipfel der Erde. Was für ein ehrgeiziges Ziel!
Lukla ist ein Ort, an den ich immer wieder mit einem Gefühl der Erleichterung zurückkehre. Ich liebe die Berge, hier bin ich zu Hause. Das kann nur verstehen, wer einmal frühmorgens vom Hubschrauber auf diesem hochgelegenen, einsamen Flecken Erde abgesetzt wurde, inmitten einer großartigen Bergwelt, deren schroffe Gipfel und Grate sich wie Gerippe messerscharf in der kristallklaren Luft abzeichnen. Diese Erhabenheit läßt einen voller Demut den eigenen geringen Stellenwert in der Ordnung der Dinge erkennen. In sieben Tagen würden wir im Basislager eintreffen. Wie immer nach meiner Ankunft wußte ich auch an jenem Morgen, daß ich in meiner eigentlichen Heimat angelangt war und daß dies das einzige Leben ist, für das ich geschaffen bin.
In diesem Jahr würden im Basislager siebzehn Teams zusammen treffen. Ich bemühte mich sehr, die Gruppe aus den üblichen Basislagerquerelen herauszuhalten. Diesmal gab es viel Wirbel um die Frage, wer den Eisbruch mit Fixseilen versichern sollte. Üblicher weise bringen die Sherpas einer oder mehrerer Expeditionen dort die Seile und Leitern an. Das Entgelt dafür fließt in die Taschen der Expeditionsorganisatoren – ein Zeichen dafür, wie zählebig Kolonialismus sein kann. Sämtliche Teams benutzen diese Route, und wer seine Sherpas nicht zu Sicherungsarbeiten zur Verfügung stellt, muß eine Gebühr bezahlen. In diesem Jahr bildete sich vorübergehend eine Interessengemeinschaft der Fangboche Sherpa Cooperative, die das Geld selbst kassieren wollte und den Kampf um die zehn- bis zwanzigtausend Dollar aufnahm. Es waren aber Henry Todd und Mal Duff die das Eisbruch-Rennen machten. Mal und seine Sherpas versicherten
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