Der Glanz der Welt
nicht. Vielleicht war das mit dem Bein so ein Fehler, den wir weder kapiert noch bemerkt haben. Also schreib mal schön, hau ordentlich in die Tastatur. Möge kein Auge in diesem Lande trocken bleiben.“
„Ich werde tun, was ich kann“, sagte ich und machte mich davon. Hoffentlich schlief Chiara noch. Ich würde wieder zu ihr unter die Tuchent kriechen und noch eine Mütze Schlaf nehmen oder so. Gut, vielleicht eher oder so.
Also zurück zum Hotel. Rauf ins Zimmer. Sie schlief, die Tuchent war ein wenig verrutscht, im Zimmer war es warm, ihre runden, nackten Pobacken strahlten mich an, die Sonne Italiens wie gehabt. Ein verfrühter Wintertag, wie man ihn sich besser nicht vorstellen konnte. Raus aus dem Gewand, ins Bett, unter die Tuchent, sie reckte mir ihr Hinterteil entgegen und murmelte ein paar italienische Worte, die ich nicht verstand. Neuerdings verstand ich oft nichts: den islamistischen Fiaker, Chiaras Italienisch, weil ich wie erwähnt überhaupt kein Italienisch verstand, und vor allem die Mordfälle, da tappte ich völlig im Dunklen. Chiara zog mich an sich, ich lag auf meiner rechten Körperseite, sie ergriff meine linke Hand, hob sie über ihre Schulter und legte sie auf ihre linke Brust. Ich spürte, wie ihre Brustwarze sich aufstellte und hart wurde. Hätte ich mich gegen irgendetwas wehren sollen? Wir schliefen einfach nur ein. Mehr nicht. Oder so.
Vergiss die Morde, vergiss die schlechteste Pizza von Wien. Du atmest im Gleichklang, irgendein angenehmer Traumschlurft gemütlich durch dein Gehirn. Die Welt ist weich, rund und warm. Was immer die großen Schurken da draußen trieben. Für einen kurzen Moment bist du wo angekommen. Wer wird da Fragen stellen oder Antworten geben? Die Welt reimt sich sowieso nie. Auch Schiller und seine Hexameter konnten das nicht ändern. Wer versucht, sich auf die Welt einen Reim zu machen, der ist fast schon verloren. Vor allem an einem Morgen wie diesem. Jetzt war Klartext gefragt. Oder so.
10. KAPITEL | Unschuldsvermutungen
„Wie kommt mir solcher Glanz in meine Hütte?“, donnerte Miller aus vollem Halse in den kleinen Raum.
„Schiller, ,Jungfrau von Orleans‘“, sagte Herbert Gans.
„Der Not gehorchend, nicht dem eignen Trieb“, meldete auch Mühsal sich zu Wort.
„Ebenfalls Schiller, ,Die Braut von Messina‘“, kommentierte Gans auch dieses Zitat.
Pirchmoser räusperte sich: „Um wen auch immer zu zitieren: ,Und so saß er, eine Leiche.‘ Ich habe deren leider drei. Und alle aus Ihrem Verein.“
„Und so saß er, eine Leiche,/Eines Morgens da,/Nach dem Fenster noch das bleiche/Stille Antlitz sah“, deklamierte John Miller. „Ist aus ,Ritter Toggenburg‘, einer längst vergessenen Schiller-Ballade.“
„Bedauerlicherweise vergessen“, sagte Gans, „noch im 19. Jahrhundert konnte jeder Gymnasiast diese Ballade im Schlaf rezitieren.“
„Ich habe Sie hierher gebeten“, ergriff Pirchmoser wieder das Wort, „damit wir ganz unbürokratisch miteinander reden können. Das ist also kein Verhör, sondern ich versuche, ein paar Ideen zu sammeln. Vielleicht ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, dem Sie keine besondere Bedeutung beigemessen haben und das Sie jetzt, nach dem neuen Mord in der letzten Nacht, aber doch für erwähnenswert halten.“
Sie hatten sich in einem kleinen Nebenraum des Giacomos’ getroffen, die kümmerlichen und mordsmäßigdezimierten Reste des Theatervereins: John Miller, Herbert Gans und Otto Mühsal.
„Und das sind wirklich alle Mitglieder?“, fragte Pirchmoser.
„Alle unsere noch aktiven Mitglieder“, sagte Mühsal, „wir sind natürlich mehr, viel mehr. Aber die Aktiven sind wie immer die Minderheit. Leider hat gerade unter diesen besonders Engagierten der Tod so reiche Ernte gehalten.“
„Ich hätte gern eine Liste aller Vereinsmitglieder“, Pirchmoser sah Mühsal fragend an, „das würde mir vielleicht weiterhelfen.“
Mühsal wehrte ab: „Das geht überhaupt nicht. Die nicht aktiven Mitglieder halten sich ganz bewusst im Hintergrund, die wollen nicht öffentlich bekannt werden. Ich kann Ihnen da leider nicht helfen. Wir führen auch gar keine Liste. Die ist nur in meinem Kopf.“
„Dem Vereinsrecht entspricht das aber nicht“, sagte Pirchmoser, „ich könnte Sie natürlich zwingen, mir die Namen zu nennen.“
„Ohne Gerichtsbeschluss wohl kaum“, sagte Mühsal, „aber glauben Sie mir, die haben nichts mit all dem zu tun. Und was glauben Sie, wie schwer mir die Namen einfallen würden
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