Der Glanz der Welt
sagen.
Also die rechte Hand von Chiaras Bauchnabel nehmen, das schmerzte. Sie flüsterte Unverständliches. Ich strich ihr über die Haare.
„Ich muss kurz mal weg. Bin in einer Stunde spätestens wieder da.“
Wo war ich eigentlich? Wenn man mich aus dem Tiefschlaf holte, hatte ich oft so einen Filmriss. Aber jetzt fiel esmir wieder ein. Wir waren gestern Abend in Chiaras Hotel gelandet. Eigentlich wollte ich mit ihr zu mir gehen, auf einen Kaffee oder so, aber es begann zu nieseln, wir kamen an ihrem Hotel vorbei, wir wärmten uns auf. Zuerst mit Tee, dann mit Näherrücken oder so. Dann unter der Tuchent. Oder so. Jetzt war leider keine Zeit fürs Erinnern. Ich fuhr aus dem Bett und knipste das kleine Licht auf dem Nachtkästchen an. Unser Gewand lag verstreut über das ganze Zimmer herum. Wir hatten es offenbar eilig gehabt, unter die Tuchent zu kommen. Kein Wunder, wenn einem kalt ist.
Also mein Gewand zusammengesucht. Sich anziehen. Ein saublöder Mörder, der mich in eine solche Lage brachte. Um 5 Uhr früh. Da lag die Sonne Italiens, und ich musste hinaus in die morgendliche Kälte. Was brauchten die mich! Reichte doch, wenn Himmel und Pirchmoser sich die Nacht um die Ohren schlugen. Oder das, was von der Nacht noch übrig war.
Dann stand ich also vor dem Winterpalais des Prinzen. Was der Prinz Eugen zu klein gewesen war, war dieses Gebäude zu groß. In der engen Himmelpfortgasse kam der barocke Protzbau eigentlich gar nicht richtig zur Geltung. Wirkung hin, Wirkung her, ich mag Barock ohnedies nicht. Die Gasse war abgesperrt, Pirchmoser winkte mir zu und deutete den Polizisten, mich durchzulassen. Himmel stand bei ihm, und die Dichte an Polizisten war beängstigend.
Vor dem riesigen, massiven Holztor lag eine Leiche, unverkennbar. Sie wurde von einem großen Bühnenscheinwerfer angestrahlt. Das Kabel für die Stromzufuhr war in den Hauseingang verlegt. Das hatten wir doch schon gehabt! In der Brust steckte ein Messer bis zum Heft. Der oder die Tote, das konnte ich nicht sehen, war als Räuber verkleidet,mit Gesichtsmaske wie in einem schlechten Film oder im Fasching, mit einem großen Sack für das Diebesgut, eine Taschenlampe lag auf dem Boden, daneben ein Brecheisen. Auf den Bauch hatte jemand, vermutlich der Mörder oder die Mörderin, einen Satz Nachschlüsseln gelegt. Ich legte mich auf „Mörder“ fest, ein voll ins Herz gerammtes Messer, das war nicht die weibliche Art des Mordens. Da hielt ich mich streng an die Klischees. Besonders auffällig war, dass die Gestalt sehr, sehr altmodische Turnschuhe trug, keine modernen Sneakers, Reebock oder Nike, nein, die alten österreichischen Semperit-Turnschuhe, wie sie bis in die 1970er-Jahre im Werk Wimpassing, hundert Kilometer südlich von Wien, hergestellt worden sind. Wir alle hatten sie in unserer Kindheit und Jugend getragen, es gab keine anderen, und vor allem keine besseren, damals. Von Auswahl keine Rede. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es sie nur in ganz wenigen Farben, das Styling war immer gleich, und das über Jahrzehnte hinweg. Es war ein Kunststoff-Halbschuh, sehr weich, auf der Seite und vorne mit blauen Textilapplikationen und einer weißen Naht. Für Tennisspieler gab es das Modell ganz in Weiß. Die Gummisohle war eine spezielle Haftsohle mit kleinen, runden Noppen, ähnlich den Noppen auf Lego-Bausteinen, nur ganz weich. Auf dieser Sohle war kurz vor dem nur angedeuteten Absatz auch das damals weltberühmte Semperit-Logo, ein S in einem Kreis, aufgeprägt. Später gab es auch noch eine hohe Version des Schuhs, die über den Knöchel hinaufreichte, da prangte das Logo außen, genau in Knöchelhöhe. Waren die Semperit-Patscherln, so nannten wir sie, neu, dann stanken sie aufdringlich nach Gummi, einige Wochen intensiven Tragens dagegen ließen sie ebenso intensiv nach Schweißfuß duften.
„Hast du gewusst, dass der Generaldirektor von Semperit einer Wiener Widerstandszelle angehört hat, 1944 von der Gestapo verhaftet wurde und in den allerletzten Kriegstagen vom Kommandanten des KZ Mauthausen höchstselbst mit 38 anderen Widerständlern vergast worden ist?“, sagte ich zu Pirchmoser.
„Trägt das was zur Aufklärung des Falles bei?“, fragte er gereizt.
„Kaum“, sagte ich, „aber interessant ist es doch allemal. Und wer weiß, vielleicht hat der Täter diese alten Semperit-Schuhe verwendet, weil uns damit etwas mitgeteilt werden sollte. Denn die Leiche ist doch sicher vom Täter verkleidet worden, nachdem er zur
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