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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
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ging es bei allen vier Morden um Geld. Vielleicht um Gier und Neid – was auch immer es an besonders liebenswerten menschlichen Tugenden so gab. Möglicherweise aber ging es auch um etwas ganz anderes.
    „Vielleicht sind die Morde nur Tarnung“, sagte ich zu Pirchmoser.
    „Tarnung wofür?“, fragte er.
    „Weiß ich nicht, das ist ja der Sinn der Tarnung, dass man es nicht merkt und nicht weiß.“ Klang zwar logisch, war aber trotzdem keine wirklich beeindruckende oder gar elegante Argumentation.
    „Wenn dir sonst nichts einfällt, ist es besser, du verziehst dich wirklich wieder ins Bett. Schlaf dich aus, träum die Lösung und erzähl sie mir dann!“ Pirchmoser winkte mir noch zu, drehte sich weg und gab den umstehenden Polizisten ein paar Anweisungen.
    „Was macht deine Schlagzeile?“, fragte ich Himmel.
    „Weiß noch nicht“, sagte er, „muss erst nachdenken. Werde das mit dem Shakespeare-Mörder ausbauen. Mir fällt schon noch was ein bis zum Abend.“
    Wir verabschiedeten uns voneinander.
    Nichts wie zurück. Dasselbe Spiel wie gestern. Nicht ganz. Ein wenig näher war wir einander gekommen. Ganz vorsichtig, aber näher. Ein wenig scheuten wir voreinander, auch wenn es nicht so aussehen mochte. Manche tragen ihre Verletzungen stolz wie Orden vor sich her, andere verbergen sie, so gut es eben geht. Du warst von dieser Sorte. Und Chiara wohl auch. Man sprach nicht darüber. So was spürt man. Cincin. Sie schlief, ganz wie gestern. Hinein ins Bett. Ein paar Shakespeare-Figuren taumelten beim Einschlafen durch deine Gedanken. Chiara murmelte: „Wo warst du?“, aber du hast es nicht mehr gehört. Der Schlaf hatte dich überwältigt. Draußen schlichen die Mörder durch die Nacht. Gute, böse und zweifelhafte Mörder. Sie alle wollten überführt werden. Aber nicht jetzt. Jetzt gab es Wichtigeres zu tun. Mick Jagger griff sich das Mikrofon, Keith Richards entlockte der Rhythmusgitarre ein paar bissige Riffs. Der elektrische Bass pulsierte. Diestoischen Trommelschläge von Charly Watts. Left shoe shuffle, right shoe muffle, sinking in the sand. Die Hügel Montalcinos, die nebligen Täler im herbstlichen Piemont. No barrique no Berlusconi. Wir waren die Guten. Oder die nicht ganz so Bösen? Die Welt will Gewissheit. Aber nichts ist ungewisser als diese Welt. Mochte der Glanz der Welt alle blenden. Dich nicht. Oder nur ein klein wenig. So viel gerade, um zu überleben. Wie lachhaft. Am Überleben sind noch alle gescheitert. Auf lange Sicht sind wir alle tot. Es sind die kurzen Strecken, die zählen. Left shoe shuffle, right shoe muffle. Fünf Meter vor, zwei zurück. In der Innenstadt ist alles Wichtige in Gehweite. So wie im richtigen Leben. Zehn Meter zu weit, und du bist verloren. Die Wahrheit hat einen kurzen Atem. Aber was ist schon Wahrheit! Und was ist ihr Wert? Das ist es doch, worum in Wahrheit sich alles dreht auf dieser Welt. Nur zu dumm, dass die Wahrheit niemandem zumutbar ist. Denn sie hat zu viele Verkleidungen, und sie trägt meist zu dick auf. Ihre Lippen sind grell vom billigen Lippenstift, denn Rouge Allure Excessive zu verwenden, kann sich die Wahrheit nicht leisten. Dafür ist sie selbst wohlfeil, jeder kann sie erstehen. Ohne Kondom verlangt die Wahrheit nur zwei Euro mehr. Sie kommt mit jedem mit und stänkert alle an. Sie irrt durch deine Träume, und irgendwann wachst du auf. Am nächsten Morgen, vielleicht auch erst mittags oder spät in der Nacht. Die Zeit wartet auf niemanden. Nur die Wahrheit, die geht mit jedem. Es wird Zeit für dich, das zu verstehen. Und zerknülle den Kopfpolster nicht wieder so stark wie in der letzten Nacht. All die Grapschmanns aber, die schlafen tief und ganz ohne Traum. Bei denen reimt „Gewissen“ sich niemals auf „Ruhekissen“. Zerknülle den Kopfpolster nicht.

12. KAPITEL | Tatorte und Dämonen
    Das Morden würde weitergehen. Die dritte Nacht hintereinander, in der du nicht durchschlafen wirst. Wieder so eine Vorahnung. Du öffnest vorsichtig die Augen, Dunkelheit, kein Handy, das schrill die Nachtruhe stört. Chiara atmet ruhig und gleichmäßig. Ein neuer Toter und niemand ruft dich an. Warum eigentlich? Die sind doch sonst nicht so rücksichtsvoll. Der Pirchmoser nicht, und der Himmel schon gar nicht. Also musst du selbst telefonieren. Du willst unbedingt den neuen Tatort sehen. Vorahnungen können täuschen. Du wusstest nicht, dass Pirchmoser durch die Nacht irrte, obwohl es keinen neuen Mord, keinen neuen Tatort gab.
    Pirchmoser hatte

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