Der Glanz der Welt
die niemand mehr glaubt. Wenn alle Fragen gefragt sind und alle Antworten verschwiegen, dann bleibt nur mehr das Gegenüber. Dann seid ihr eins, egal, was da draußen geschieht.
Nackt liegt sie da, und du streifst langsam und vorsichtig über die weichen Hügeln von Montalcino hinunter in die Nebel der Täler des Piemont. Wandere ohne Angst, sie zeigt dir den Weg. Dorthin, wo es feucht ist und dunkel, wo keine Sonne hinkommt, sondern nur du. Wo keine Antworten sind, genau dort, dort ist das Ziel.
She’s always leavin’ you with lipstick traces …
11. KAPITEL | Der Shakespeare-Mord
Irgendwie hattest du es geahnt. Auch diese Nacht würdest du nicht ruhig neben Chiara aufwachen und dabei langsam und tief durchatmen können. Nachdem du die Augen aufgeschlagen hast, würdest du sie nicht halb geöffnet über ihre Rundungen wandern lassen können. Man würde dich stören. Das Morden würde weitergegangen sein. Du konntest diese Ahnung nicht begründen, aber du hast gespürt, dass der Mörder in Eile war, warum auch immer. Was immer ihn antrieb. Und niemand hatte den geringsten Schimmer, was hinter diesen Morden steckte, sie erinnerten dich aber an das moderne Marketing: viel Getöse und nichts dahinter. Wozu all der Aufwand an den Tatorten, mal vom Absturz Beins abgesehen? Und du hattest nicht die geringste Idee, worum es ging. Du warst sicher, dass Pirchmoser sich irrte. Diese Serie hatte nichts mit Grapschmann zu tun. Nicht, dass du es diesen Leuten nicht zutrauen würdest, im Notfall auch einen Menschen zu töten oder töten zu lassen. Wenn es um Geld ging oder um ihren Hals, was auf dasselbe hinauslief, weil sie den Hals niemals voll bekommen würden, dann waren sie zu allem fähig. Aber die Opfer, wiederum von Bein abgesehen, waren herabgekommene Schauspieler, lebten zumeist von ein paar Werbespots, die sie auch nur sprechen durften, weil sie besonders niedrige Honorare verlangten.
Das Prekariat ist allgegenwärtig, denkst du, eine verdrießliche Zeit. Kein Wunder, wenn Typen wie Grapschmann oder Schnittling das Sagen hatten und das große Geld machten.Da musste alles den Bach runtergehen. Die wahren Sozialschmarotzer sitzen ganz oben. Da kann ein kleiner Arbeitslosenschwindler nicht mithalten. Für die Barone und Schmocks, die Schnittlings, Grapschmanns und Fifis müsste man das Bäckerschupfen wieder einführen. Die wecken böse Gedanken, und jeder von uns hat – wie schon erwähnt – so seine dunklen Ecken in der Seele, in die er lieber nicht hineinsieht, wo diese Gedanken nur darauf lauern, aufgeweckt zu werden. Solchen Gefühlen darfst du nicht nachgeben, das verbietest du dir. Man darf sich von diesen Leuten nicht zum Rückschritt verführen lassen, so verführerisch es manchmal auch wäre.
Deine Vorahnung! Das Handy klingelt, summt, brummt. Chiara liegt auf dem Rücken, reckt frech ihren Venushügel empor, im hereinfallenden Mondlicht schimmern ihre sorgfältig getrimmten Schamhaare. Die Landebahn lädt dich ein zur gefühlvollen Landung. Die Landebahn entlangfahren, Scheißhandy. Wäre das Handy vor zwei Millionen Jahren erfunden worden, es wäre nie zur Menschheit gekommen. Schon unsere Vorfahren wären ausgestorben, weil dieses verdammte Ding immer im falschen Moment klingelt.
Du nuschelst ein müdes, langgezogenes „Jaaaaaa“ in den Sprecher.
„Schläfst du eigentlich immer?“ Es war Himmel, nicht der über uns, sondern der unter uns weilende. Himmel, la sensazione .
„Ich schlafe nie“, meine Stimme klang belegt, „dank deiner unmöglichen Anrufe zu unmöglichen Zeiten.“
„Raus aus den Federn“, befahl Himmel, „wir haben den nächsten Mord. Und ich habe den Täter inspiriert.“
„Äh?“ Ich verstand nicht, was er meinte.
„Erkläre ich dir vor Ort, jetzt fahr ins Gewand und komm her. Ich stehe vor der Kapuzinerkirche. Der commissario ist auch schon auf dem Weg.“
Was blieb dir über. Deine Vorahnungen. Du konntest nicht widerstehen. Deine Lippen landeten auf der Landebahn, fuhren sie sachte entlang hinab in die Täler des Piemont und ein herzhafter Kuss. Tief im Schlaf hob Chiara ihr Becken deinen Lippen entgegen, und die versanken in den Talschaften Piemonts. Scheißmorde. Du deckst Chiara sorgfältig zu. Sie schläft oder tut so, als ob sie schläft. Du bist nicht ganz sicher. Du steigst aus dem Bett. Hinein ins Gewand und auf zur Kapuzinerkirche. Man musste dem Mörder fast dankbar sein für die Auswahl seiner Tatorte, denn im ersten Bezirk kommt man schnell überall
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