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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
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hin, vor allem, wenn man fast genau in seiner Mitte wohnte.
    Eigentlich heißt die Kapuzinerkirche „Kirche zur Heiligen Maria von den Engeln“, aber das wissen wohl nur die Kapuziner selbst und ein paar Kunsthistoriker. Für die Wiener ist es einfach die Kapuzinergruft, in der ein paar Habsburger in ihren Prunksärgen dem Jüngstem Gericht entgegenmodern.
    „Da können sie lange modern“, denkst du, „am Ende aller Tage wartet nicht irgendein Gericht Gottes, sondern nur ein gefräßiges Schwarzes Loch, das alles verschlingt.“ Man wird sehen. Ist noch einige Zeit bis dahin. Da spürst du deine Knochen schon lang nicht mehr. Wie die Habsburger-Kaiser da unten im Souterrain, wo sonst nur die Armen wohnen. Die haben dann allerdings auch keine Kirche über sich, und ihre Wohnungen sind ungemütlicher als jedwede Gruft.
    Pirchmoser lief mit großen Schritten den Gehsteig auf und ab. Direkt vor dem mittleren Rundtor der orange-braun angemalten Kirche lag unübersehbar eine Leiche. Ein großerTheaterscheinwerfer auf einem Stativ, Strom aus einem Haus neben der Kirche. Alles wie gehabt. Die tote Gestalt lag auf dem Rücken, hatte alle viere von sich gestreckt und ein Schwert steckte mitten im Bauch. Über den Gehsteig rann Blut auf die Straße und von dort in den Gully.
    „Jetzt hat es den Gans erwischt“, rief Pirchmoser mir zu. Ich ging näher heran. Tatsächlich und unverkennbar trotz der komischen Kleidung. Es war Gans, der hier in seinem Blut lag, bekleidet mit einem Wams und einer daran befestigten Melonenhose, wie sie einst von Aristokraten getragen wurde. Ein seltsames Kleidungsstück, auch Pluderhose genannt, das mit Werg, Kleie oder Rosshaar ausgestopft wurde, gerade einmal die Oberschenkel bedeckte und sie kugelförmig umschloss.
    Am Kirchentor war die übliche, auf Pergamentpapier geschriebene Mitteilung angeschlagen.
    Ich begann vorzulesen: „, Mount, mount, my soul! thy seat is up on high,/whilst my gross flesh sinks downward, here to die! ‘ Original Shakespeare“, ich drehte mich zu Pirchmoser, „Richard II.“
    „Und was heißt das?“ Pirchmoser blickte mich ratsuchend an.
    „Ist sehr bekannt. ,Erheb, erhebe dich meine Seele, einen himmlischen Thron einzunehmen,/indem mein sterblicher Teil zur Erde sinkt.‘ Englisch gefällt es mir besser. Aber die Szene ist ganz genau nachgestellt. Nachdem Richard II. noch zwei Wachen mit dem Schwert getötet hat, bringt ihn Sir Pierce von Exton, ein Handlanger von Henry IV., ebenfalls mit einem Schwert um. Was übrigens unbedankt bleibt, Exton wird nämlich verbannt.“
    „Mit Verbannung kenne ich mich aus“, Pirchmoser kratzte sich am Hinterkopf, „mich wollten sie auch verbannen. Inmein Tiroler Heimatdorf. Aber ich habe mit dem Aufmarsch einer Schützenkompanie gedroht. Seit damals halten sie es im Ministerium doch für keine so gute Idee mehr, mich heimzuschicken. Ein Sektionschef hat mir geflüstert, dass die Herrschaften und die Ministerin Angst haben, dass ich in Tirol die Schützen rebellisch mache. Soll mir recht sein.“
    „Shakespeare, sage ich doch“, Himmel war hoch erfreut, „ich habe recht behalten. Der Mörder ließ sich von mir inspirieren.“
    „Das kannst als Schlagzeile verwenden: unser Starreporter Himmel als Muse des Shakespeare-Mörders“, spottete ich.
    „Spielverderber“, sagte Himmel, „wahrscheinlich hast du recht, und es ist doch keine wirklich gute Idee. Allerdings weiß ich eines trotzdem, commissario , das ist jetzt ein toter Mann, und wir haben das gleiche Muster wie bei den zwei ermordeten Frauen. Der Bein passt immer weniger in die Serie.“
    „Genau genommen ist das gut so“, Pirchmoser dachte nach, „wir haben eine Mordserie, das sind die drei verkleideten Leichen, und wir haben den Bein. Den könnte ich noch immer dem Grapschmann und seiner Clique anhängen.“
    „Verrenn dich da nicht in etwas“, sagte ich, „obwohl ich auch glaube, dass das zwei verschiedene Fälle sind. Und beide sind verdammt schwer zu lösen. Keiner dieser Morde ergibt irgendeinen Sinn. Ich sehe kein Motiv. Wisst ihr eigentlich schon etwas über den Mann, den man angeblich im Stephansdom mit Bein gesehen hat?“
    „Ja, wir haben inzwischen eine Phantomzeichnung machen lassen“, sagte Pirchmoser.
    „Dann zeig endlich her“, sagte ich, und auch Himmel verlangte: „Her damit, ich drucke es ab.“
    „Ich glaube nicht, dass ihr die Zeichnung wirklich sehen wollt, und schon gar nicht willst du sie“, Pirchmoser sah Himmel an, „im

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