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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Nach ihrem Verschwinden war es mir unmöglich, dort zu schlafen, wo sie gelegen hatte.
    Ich nahm das Bett gegenüber, unter der Dachschräge, hörte die Schläge der Standuhr aus dem Flur im Erdgeschoß und zuweilen die Rufe der Eulen aus dem nahen Wald. Wenn ich mitten in der Nacht aufwachte, sah ich manchmal für einen Moment die Umrisse von Natalies Körper unter den Laken, bevor mir wieder alles einfiel.
    Martha hatte nichts von Natalies Sachen weggeräumt, weil sie stets mit ihrer Rückkehr rechnete. Jedes Jahr, wenn wir in den Ferien zu Besuch kamen, mußte ich meine Kleider zwischen die von Natalie legen, die in Folie verpackt waren. Sie wurden mir zusehends fremder, bis ich bemerkte, daß es die Anziehsachen eines jungen Mädchens waren, aus denen ich herausgewachsen war, hinein in das Erwachsenendasein. Eines Tages waren sie nicht mehr da.
    Ich zog die Vorhänge zurück und blickte aus dem Fenster auf den Garten, der allmählich in der Dunkelheit verschwand. Wie Rauch schwebte der Abendnebel über dem Gras. Der Himmel war tiefblau, nur der Horizont schimmerte noch rosa. Morgen werden wir schönes Wetter haben, schoß es mir durch den Kopf. Seltsam geformte Laubhaufen lagen auf dem Rasen und warteten darauf, verbrannt zu werden. Weiter rechts sah ich noch eine Erhebung, etwas niedriger – das Zeltdach der Polizei. Ob es irgendwo eine Firma zur Herstellung von Zelten gab, die man über Leichenfundorten aufstellte? Offensichtlich.
    Alles war ganz still. Unten am Waldrand saßen Pauls drei Töchter, ihre Körper verschmolzen zu einem einzigen dunklen Schatten. Vom Erdgeschoß drangen Stimmen zu mir herauf, doch ich konnte keine Worte verstehen. In einem Rohr gurgelte es, ein Abfluß vor dem Haus rauschte. Ich hörte Schritte vor meinem Zimmer.
    Wahrscheinlich waren es Jerome und die schöne Hana, die vorbeischlichen, rosig vom Duschen und in Handtücher eingehüllt. Ich meinte, ein unterdrücktes Schluchzen zu vernehmen.
    Ich öffnete meinen Koffer und zog eine Jacke hervor, streng, schlicht und doch sexy, hochgeschlossen und an den Handgelenken enganliegend. Nachdem ich sie angezogen hatte, war auch meine Fassung halbwegs zurückgekehrt. Ich tupfte mir etwas Parfüm hinter die Ohren und wählte passende Ohrringe. Ich dachte an Natalie in jenem letzten Sommer, wie sie purpurfarbenen Lippenstift ausprobierte und mit ihren katzenähnlichen Augen, die meinen so sehr glichen, unverwandt in den Spiegel starrte. Dann wanderten meine Gedanken zu den Knochen, die ich am Morgen in der Lehmerde gesehen hatte. Was tat ich eigentlich in diesem Haus? Mit Claud, vom dem ich mich trennen wollte, mit seinen Eltern, die meine Gegenwart schmerzen mußte, mit Clauds Bruder Theo, mit dem ich wie ein Teenager vielsagende Blicke durchs Küchenfenster wechselte?
    »Jane, Hana, Martha, Alan!« rief Claud die Treppe herauf.
    »Kommt herunter. Ich öffne den Champagner.«

    3. KAPITEL
    Martha und Alans Auftritt wirkte wie einstudiert. Mein Schwiegervater, der bei seinem Eintritt gerade etwas zu seiner Frau sagte, unterstrich seine Worte mit einer Geste seiner großen Hände. Sein Bauch wölbte sich üppig über den Gürtel, der Bart sah eher ungepflegt aus, und das graue Haar fiel ihm bis auf den Kragen. Der grellfarbene Schlips hingegen entsprach der neuesten Mode, und sein Tweedjackett war untadelig. Immer ganz der Bohemien, der auf seine Kleidung keinen Wert legte – allerdings ein Bohemien von der reichen Sorte. Er umarmte Frances, die zufällig an der Tür stand, und bedachte Jerome mit einem herzhaften Klaps auf den Rücken. Jerome, mit kurzgeschnittenem Haar, in Jeans und schwarzem T-Shirt, wirkte traurig und befangen. Er widmete sich ausschließlich Hana, die von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet war, was ihre slawischen Züge betonte.
    »Jetzt sind wir ja alle versammelt!« rief Alan. »Ich brauche unbedingt etwas zu trinken.«
    Martha neben ihm wirkte blaß und schmaler, als ich sie in Erinnerung hatte. Ihre glänzenden Augen verrieten, daß sie in den letzten Stunden geweint hatte. Jonah ging zu ihr und küßte sie auf die Wange. Er war ein gutaussehender Mann mit dunklen Haaren und blauen Augen. Weshalb hatte ich weder ihn noch Fred je attraktiv gefunden – wie Theo in jenem langen heißen Sommer? Unserem Sommer.
    Vermutlich, weil jeder der beiden wie ein halber Mann wirkte. Selbst ihre Ehefrauen, ihr Beruf, ihr Heim hatten keine eigenständigen Persönlichkeiten aus ihnen gemacht.
    Für mich waren sie immer noch

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