Der Glaspavillon
Jonah-Fred, die Zwillinge, und ich fand ihre Ähnlichkeit nach wie vor ein bißchen komisch, wenn nicht sogar absurd. Ob sie die Leute noch immer zum Narren hielten?
Als Claud die erste Champagnerflasche entkorkte, hielten ihm alle erwartungsvoll die Gläser entgegen.
Jemand flüsterte mir etwas ins Ohr. Es war Peggy.
»Ich bin mir nicht sicher, ob Champagner den Umständen wirklich angemessen ist!«
Ich zuckte unverbindlich die Achseln. Alan klopfte mit dem Feuerzeug gegen sein Champagnerglas, und als er sich sicher war, daß ihm alle ihre Aufmerksamkeit schenkten, trat er in die Mitte des Zimmers. Eine ganze Weile herrschte völlige Stille. Alan blickte gedankenvoll in die Runde. Als er endlich zu sprechen begann, war seine Stimme so leise, daß wir alle die Ohren spitzen mußten.
»Ihr wißt, wie gerne ich euch mit einem Scherz begrüße, aber unser Treffen hat eine andere Wendung genommen als geplant. Gewiß möchte jeder von euch wissen, was ich gerade mit Clive Wilks, dem Chef der Kriminalpolizei in Kirklow, am Telefon besprochen habe. Er hat sich verständlicherweise sehr vorsichtig geäußert, aber auf meine Frage, ob es die sterblichen Überreste eines sechzehnjährigen Mädchens sein könnten, meinte er, das sei durchaus möglich. Was natürlich keine große Überraschung ist.« Er lächelte dünn. »Ich fürchte, der Bau von Janes wunderschönem Pavillon muß erst einmal verschoben werden.
Das Pilzessen ist uns zur Tradition geworden, und die Zusammenkunft unserer beiden Familien mit allen Kindern und nächsten Angehörigen bedeutet mir sehr viel.« Die Zuhörer wurden unruhig. Worauf wollte er hinaus? »Aber an heute werde ich mich bis ans Ende meiner Tage erinnern. Vor fünfundzwanzig Jahren ist unsere Tochter Natalie verschwunden. Eine Zeitlang glaubten wir, oder zumindest versuchten wir zu glauben«, er blickte zu Martha, die mit den Tränen kämpfte, »daß sie davongelaufen war und wieder zu uns zurückkommen würde. Diese Hoffnung verblaßte zwar mit der Zeit, schwand jedoch nie vollständig. Auf jemanden vergeblich zu warten, ist schrecklich, wirklich ganz schrecklich.
Heute haben wir sie nun gefunden und können endlich angemessen ihren Tod beweinen. Sie kann nun zur letzten Ruhe gebettet werden. Ich denke, ich sollte etwas über sie sagen, ich sollte sie, meine einzige Tochter, beschreiben.
Aber mir fehlen die Worte.«
Auf einmal war Alan ein verlorener, trauriger alter Mann. Ich hörte ein deutlich alkoholisiertes Flüstern an meinem Ohr.
»Dieser elende Schauspieler. Er liebt so was, stimmt’s?«
Fred. Er war bereits betrunken. Ich bedeutete ihm, still zu sein.
»Sie war klug, schön und jung; das Leben lag noch vor ihr.«
Ich hörte ein unterdrücktes Schluchzen, wußte aber nicht, aus welcher Ecke es kam. »Sie war aufsässig, und sie war stur.« Jetzt rannen Tränen über Alans Wangen.
»Sie mochte keine Abschiede. Schon als kleines Mädchen schob sie mich weg, wenn ich sie vor der Schule umarmen wollte. Nie winkte sie aus einem Bus, immer hielt sie den Blick nach vorn gerichtet. So war sie, mein kleines Mädchen, nie sah sie zurück. Doch jetzt können wir uns von ihr verabschieden.« Alan blickte auf das Glas in seiner Hand. Etwas gefaßter fügte er hinzu: »Damit beginnt für uns ein neuer Lebensabschnitt.« Er legte einen Arm um Marthas schmale Schultern; sie hielt sie gestrafft, um nicht von ihrem Kummer überwältigt zu werden. »Vielleicht kann ich jetzt sogar wieder ein ordentliches Buch schreiben«, fügte er mit einem kurzen Auflachen hinzu.
»Wie auch immer, ihr sollt wissen, wie ich mich freue, daß wir alle hier versammelt sind. Ihr alle habt Natalie geliebt und sie euch.« Er hielt sein Glas in die Höhe, und der Champagner funkelte im Schein des Feuers. »Ich erhebe mein Glas auf Natalie.«
Wir sahen einander an. Entsprach das den Regeln des guten Geschmacks?
»Auf Natalie.«
Ehe ich auch nur einen Schluck trinken konnte, hatte ich bereits die Hälfte verschüttet, denn Fred hatte mich überschwenglich an sich gedrückt.
»Es tut mir leid wegen deiner Ehe, Jane«, erklärte er mit schwerer Zunge. »Und wegen des Pavillons. Ich habe mich schon so darauf gefreut, dort übernachten zu können.
Aber jetzt wird für immer ein Geist darin umherwandern, stimmt’s?«
»Das würde ich nicht sagen.«
»Doch, doch«, bekräftigte Fred. »Aber die eigentliche Frage ist …« Hier legte er eine so lange Pause ein, daß ich schon dachte, er hätte endgültig den
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