Der Glaspavillon
gebrochen. Im Hintergrund öffnete Claud gerade eine Flasche Portwein. Der dickflüssige, purpurfarbene Wein gluckerte leise in die Gläser auf dem Tablett.
Claud hob die Hände, und das Gemurmel verstummte.
»Auf die Köchin!« sagte er und lächelte mich wehmütig über die Reste des Mahls hinweg an. Auf einmal wirkte dieses Festessen fast wie ein Abschied. Ich fragte mich, wie es wohl weitergehen mochte, und spürte, daß ich Angst hatte vor der Zukunft. »Auf Jane!« fielen alle ein.
»Auf Alan und Martha!« ergänzte mein Vater. An dem ungewohnt scheppernden Tonfall in seiner sonst so klaren Stimme hörte ich, daß auch er ein wenig beschwipst war.
»Und auf Claud, der alles organisiert hat!« übertönte Jonah das Stimmengewirr. »Auf Theo, der die Parasol-pilze gefunden hat!« rief jemand von hinten. Damit war die süße wehmütige Stimmung dahin. »Auf uns alle!«
sagte Alan.
»Auf uns alle.«
4. KAPITEL
In der morgendlichen Kälte wollte mein Auto zunächst nicht anspringen. Der Motor stotterte und starb etliche Male ab, bis er sich schließlich freigehustet hatte. Ich kurbelte das Fenster herunter und blickte in das finstere Gesicht meines jüngeren Sohnes.
»Tschüs, Jerome, tschüs, Hana. Ruft mich an, wenn ihr wieder in London seid. Und fahrt vorsichtig.«
Hana gab mir einen Kuß durchs Fenster. Rosie warf ich eine Kußhand zu, worauf sie mit dem Finger auf mich zeigte und ihn anschließend in die Nase steckte. Paul lud eine Unmenge Gepäck in sein Auto. Als ich ihn rief, winkte er mir zu. Alan und Martha standen nebeneinander, um mich zu verabschieden. Ich lehnte mich aus dem Fenster, ergriff Alans Hand und drückte sie.
»Alan« sagte ich, »sollen wir uns treffen, wenn du das nächste Mal in London bist?«
Mir war unbehaglich zumute, als würde ich ihn bitten, mit mir in Kontakt zu bleiben. Er strich mir mit der Hand übers Haar.
»Jane«, meinte er, »du wirst immer unsere Schwiegertochter bleiben. Nicht wahr, Martha?«
»Natürlich«, sagte sie und umarmte mich.
Sie duftete so vertraut nach Puder und Holzfeuer. Sie hatte es immer verstanden, umwerfend sexy und gleichzeitig beruhigend schlicht zu sein. In ihren Augen standen Tränen, als sie mich zum Abschied küßte, und für einen Augenblick überfiel mich der brennende Wunsch, das, was ich in die Wege geleitet hatte, ungeschehen zu machen: die Trennung von ihrem Sohn und die elenden Pläne für den Glaspavillon, die zur Entdeckung ihrer toten Tochter geführt hatten. Sie drückte meine Hand.
»Eigentlich bist du für uns sogar noch mehr eine Tochter als eine Schwiegertochter.« Zögernd fügte sie hinzu: »Laß mich nicht im Stich, Liebes.«
Was meinte sie damit? Wie sollte ich sie im Stich lassen? Claud trat mit einem eleganten Koffer aus dem Haus. Er kam ein paar Schritte auf uns zu, blieb dann aber stehen. Er würde das Ganze mit Würde tragen, aber weiterhin für mich da sein, dachte ich, während ich ihn betrachtete. Wie vertraut dieser Mann mir war. Ich wußte, wo er seine Jeans gekauft und in welcher Reihenfolge er seine Sachen in den Koffer gelegt hatte. Wußte, welche Musik er im Auto hörte und daß er die Tachonadel nicht höher als auf hundertzehn klettern ließ. Bestimmt rief er mich sofort von seiner neuen kleinen Wohnung in Primrose an, um sich zu vergewissern, daß ich gut daheim angekommen war. Anschließend würde er sich einen Whisky einschenken und sich ein Omelett backen.
Robert, den ich in meinem Wagen nach London mit-nahm, saß still und angespannt neben mir. Sein blasses, glattes Gesicht war unbewegt. Ich legte für einen Moment meine Hand auf seine, dann hob ich sie, um Claud zu winken. Er nickte uns zu.
»Auf Wiedersehen, Jane!« rief er und stieg in sein kleines Auto.
Wir verließen Stead gleichzeitig. Während der langen Fahrt durch Shropshire sah ich Clauds blaues Auto und sein dunkles Haar im Rückspiegel. Als wir die Autobahn erreicht hatten, schaltete Robert laute Musik ein. Ich drückte aufs Gaspedal, und bald hatten wir Claud weit hinter uns gelassen.
Zigaretten sind etwas Wundervolles. Jeden Morgen ging ich erst einmal unter die Dusche und anschließend im Bademantel einen Stock tiefer. Ich mahlte mir ein wenig Kaffee, goß frisch gepreßten Orangensaft in ein Glas und zündete mir die erste Zigarette an. Während ich rauchte, überdachte ich Pläne für neue Projekte.
Ich rauchte, sooft ich den Telefonhörer zur Hand nahm.
Ich rauchte im Auto – mein Gott, wie sehr hätte Claud das
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