Der Glaspavillon
verabscheut. Oft rauchte ich auch im Dunkeln, abends. Ich sah zu, wie die glühende Spitze Leuchtspuren in der Luft hinterließ. Meine Tage waren eingeteilt in kleine Nikotinportionen. Und ich rauchte jeden Morgen beim Durchblättern der Zeitung, wenn ich nach Neuigkeiten über Natalies Überreste suchte, die man inzwischen mit Hilfe gerichtsmedizinischer Untersuchungen zweifelsfrei identifiziert hatte. Der Guardian schrieb über die
»unglückliche Tochter des angry young man « . »Marello-Tragödie« hieß es in der Mail. Alan gab Interviews.
Meistens waren Archivbilder dabei, die ihn als jungen Mann zeigten, zu Zeiten größeren Erfolgs.
Gegen Ende der Woche rief mich ein Kriminalbeamter aus Kirklow an. Man wollte sich rein routinemäßig mit mir unterhalten. Nein, ich brauchte nicht extra nach Kirklow zu kommen, zwei Beamte hätten nächste Woche ohnehin in London zu tun. Wir vereinbarten einen Termin, und am Dienstag der folgenden Woche saßen Punkt elf Uhr dreißig zwei Kriminalbeamte im vorderen Zimmer: Detective Sergeant Helen Auster, die das Gespräch führte, und Detective Constable Turnbull, ein kräftiger Mann mit straff nach hinten gekämmtem Haar. Ich kochte Kaffee, und Turnbull und ich zündeten uns eine Zigarette an.
Auster trug ein nüchternes graues Flanellkostüm. Sie hatte hellbraunes Haar und durchdringende gelbliche Augen, die offenbar auf einen Punkt hinter meinem Kopf gerichtet waren. Sie trug einen Ehering und war jung, schätzungsweise zehn Jahre jünger als ich. Während wir an unserem Kaffee nippten, tauschten wir Belanglosig-keiten über London aus. Sie hatten es offensichtlich nicht eilig, zur Sache zu kommen. Schließlich schnitt ich das Thema an.
»Treffen Sie sich hier in London mit allen Verwandten von Natalie?«
Helen Auster lächelte und warf einen Blick in ihr Notizbuch.
»Wir kommen gerade von Ihrem Vater, von Mr. Crane«, sagte sie mit einem leichten Birmingham-Akzent. »Nach dem Mittagessen sind wir mit Theodore Martello in seinem Büro auf der Isle of Dogs verabredet. Anschlie-
ßend fahren wir zur BBC-Zentrale und führen dort ein Gespräch mit ihrem Bruder Paul.«
»Sie werden den größten Teil des Tages im Verkehr festsitzen«, stellte ich mitleidig fest. »Glauben Sie denn, daß sich jemand nach so langer Zeit überhaupt noch an etwas erinnert?«
»Wir müssen ein paar Dinge klären.«
»Glauben Sie, daß Natalie ermordet wurde?«
»Nicht auszuschließen.«
»Weil sie vergraben wurde?«
»Nein, weil es Hinweise gibt, daß sie erwürgt wurde.«
»Reichen die Knochenfunde aus, um das feststellen zu können?«
Auster und Turnbull wechselten einen Blick.
»Ein kleines Detail hat uns darauf gebracht«, erklärte Auster.
»Bei einer Strangulation bricht meistens das Zungen-bein, das zwischen Unterkiefer und Kehlkopf liegt. Dieser Knochen ist bei der Toten gebrochen. Allerdings befand sich die Leiche lange Zeit in der Erde.«
»Jemand muß die Leiche vergraben haben«, sagte ich.
»Richtig«, bestätigte Auster.
»Hat diese Person sie auch umgebracht?«
»Vielleicht. Im Augenblick versuchen wir Einzelheiten in Erfahrung zu bringen. Wie Sie sicherlich wissen, war man lange Zeit davon ausgegangen, daß Natalie Martello von zu Hause weggelaufen war. Offenbar ist sie am Morgen des 27. Juli 1969 zum letzenmal gesehen worden.«
»Am Tag nach der Party, richtig«, warf ich ein.
»Erst Monate später wurden Aussagen aufgenommen, aber die Nachforschungen brachten nicht viel.«
Es entstand eine Pause, die ich so schnell wie möglich zu überbrücken versuchte.
»Alle Spuren dürften mittlerweile verwischt sein. Wie wollen Sie da noch etwas herausfinden?«
»Wir bitten die Leute eindringlich, uns jedes kleinste Detail mitzuteilen, an das sie sich erinnern können.«
»Aha. Natürlich.«
Auster sah noch einmal in ihr Notizbuch.
»Gerald Francis Docherty, ein Nachbar, hat Natalie zum letztenmal gesehen, und zwar beim Fluß am nördlichen Rand des Grundstücks Ihrer Schwiegereltern. Natürlich möchten wir wissen, ob jemand sie danach noch einmal zu Gesicht bekommen hat.«
»Ich glaube, das hat man uns damals schon gefragt. Ich habe Natalie nach der Party nicht mehr gesehen.«
»Erzählen Sie uns von der Party.«
»Bestimmt hat Ihnen mein Vater eine Menge davon berichtet. Es war Alan und Marthas zwanzigster Hochzeitstag. Sie kamen an diesem Tag von einer Kreuzfahrt zurück. Mein Vater hat sie in Southampton abgeholt und direkt nach Shropshire gebracht. Die
Weitere Kostenlose Bücher