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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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dauerhaften Beziehung habe ich offensichtlich Probleme. Und Kinder werde ich nie haben.«
    Was konnte ich darauf antworten?
    »Das Leben ist grausam. Ich dachte immer, jeder ist seines Glückes Schmied. Aber so was denkt man, glaube ich, nur, wenn man jung ist, oder? Da wären wir also: du –
    schön, geistreich, warmherzig – und allein. Und ich, ich hatte eigentlich alles, was ich mir wünschte, und plötzlich lebe ich in einem Alptraum. Auf jeden Fall« – ich war inzwischen etwas angetrunken, geschwätzig und schrecklich sentimental – »haben wir uns, und daran wird sich auch nichts ändern.« Damit hob ich das Glas. »Auf uns.«

    »Auf uns. Im übrigen laß uns jetzt mal was essen, ich bin schon blau.«
    Mit großem Appetit verspeisten wir die Sandwiches.
    »Wußtest du«, sagte ich nach einer Weile, »daß Stead gar nicht weit weg ist?«
    »Ja«, erwiderte Kim. »Das wußte ich. Ist das ein Problem für dich?«
    »Nein, nicht direkt. Hast du dieses Gasthaus ausgesucht, weil es in der Nähe von Stead liegt?«
    »Irgendwie schon. Das heißt, ich habe es ausgesucht, weil es ein schönes Plätzchen ist, und dann dachte ich, daß du vielleicht gerne nach Stead willst. Um die Vergangenheit zu bewältigen. Ich fürchtete, daß sie dich sonst erdrücken könnte.«
    Ich sah sie verwundert an.
    »Kim, du bist wirklich erstaunlich. Seit wir hier angekommen sind, denke ich darüber nach, daß ich unbedingt dorthin muß. Ich muß an den Ort zurück, an dem es passiert ist. Nicht unbedingt nach Stead, aber zu Cree’s Top. Ich kann es nicht erklären, aber ich habe das Gefühl, daß ich das Geschehene erst dann verarbeiten kann, wenn ich noch einmal dort war. In meiner Erinnerung bin ich x-mal dagewesen; wenn ich meine Augen schließe, könnte ich dir jeden Zentimeter, jede Senke und jeden Baum genauestens beschreiben. Aber ich war niemals wieder da
    – nicht seit Natalie verschwunden ist. Es wurde zu einer Art verbotener Zone für mich. Nun, inzwischen weiß ich ja, warum. Aber ich weiß auch, daß ich dem, was ich getan habe, nicht entfliehen kann. Also muß ich mich der Sache stellen. Alle Plätze noch mal abgehen. Das verstehst du doch, oder?«
    Kim nickte und schüttete den Rest der Flasche in unsere Gläser. »Sicher. Wenn ich in deiner Haut steckte, würde ich es wahrscheinlich genauso machen.«
    Ich wollte etwas erwidern, aber sie ließ mich nicht zu Wort kommen. »Da dem aber nicht so ist, werde ich morgen, während du nach Stead zurückkehrst, einen langen Spaziergang machen.«
    Wir starrten beide, von Wein und Müdigkeit benebelt, schweigend in die Flammen.
    »Woran denkst du?« fragte Kim.
    »Es war nicht Memory, weißt du«, sagte ich.
    »Was?«
    »Das Spiel, das wir immer an Weihnachten gespielt haben, bei dem man sich an Gegenstände auf einem Tablett erinnern muß. Das heißt nicht Memory. Es heißt
    ›Kims Spiel‹.«
    »Welches Spiel? Wovon in aller Welt redest du eigentlich?«
    »Ich habe in dem Karton mit den alten Sachen aus Stead, die Claud mir vorbeigebracht hat, einen Roman von Kipling gefunden. Kim. Beim Durchblättern stieß ich auf die Stelle, wo Kim zum Spion ausgebildet wird. Sie trainieren sein Gedächtnis, indem er sich wahllos zusam-mengestellte Gegenstände merken muß, die anschließend verdeckt werden. Das ist Kims Spiel.«
    »Möchtest du vielleicht noch ein Glas Wein«, erkundigte sich Kim lächelnd.
    »Memory dagegen ist ein Spiel, bei dem Karten verdeckt auf dem Tisch liegen und man versuchen muß, möglichst viele Paare zusammenzubekommen. Wie konnte ich das nur vergessen?«
    Kim stand auf.
    »Ich vergebe dir«, sagte sie. »Komm, laß uns schlafen gehen.«

    36. KAPITEL
    Das Anwesen wirkte, als wäre es bereits nicht mehr bewohnt. Als ich aus dem Auto stieg und mich umsah, spürte ich Marthas Abwesenheit sofort. Sie hatte mir mal erzählt, daß ihre Bücher quasi nebenbei entstanden und die Kinder von allein groß geworden wären, aber sie habe immer das Gefühl gehabt, daß ihr Garten sie wirklich brauchte. Früher war zwar ein paarmal in der Woche ein Mann aus Westbury gekommen, doch wenn ich auf Stead Ferien machte, schien sie mir jede freie Minute im Garten zu verbringen. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie auf Knien mit einer kleinen Schaufel den Boden umgrub, Unkraut jätete und Stecklinge setzte. Unermüdlich widmete sie sich einer Aufgabe, von der wir anderen so gut wie nichts verstanden. Wenn wir die Blumen, das Obst und das Gemüse bemerkten, dann bewunderten wir das

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