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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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öffnete ich sie noch einmal und packte mein altes Tagebuch ein. Ich wählte rasch Pauls Nummer, aber es meldete sich nur der Anrufbeantworter. Nach dem Piepton sagte ich:
    »Paul, hier ist Jane. Ich habe mir gerade deinen Film angesehen. Er ist sehr beeindruckend – ehrlich, trotz allem, was inzwischen passiert ist, hat er seine Berechti-gung. Ich fahre übers Wochenende mit Kim weg, aber ich rufe dich an, sobald ich wieder da bin. Wirklich gute Arbeit.« Ich wollte schon auflegen, aber da fiel mir plötzlich noch etwas ein. »Oh, Paul – könntest du mir sagen, auf welcher Seite des Flusses du am Ende des Films stehst?«
    Kaum hatte ich aufgelegt, hörte ich Kim auch schon hupen. Ich zog meine Lederjacke an, nahm meine Tasche und ging hinaus.

    River Arms war ein kleines weißes Gasthaus mit niedrigen Deckenbalken und einem riesigen offenen Kamin in der Bar. Wir hatten ein Doppelzimmer mit Bad. Kim sagte, wenn man morgens aufwache, könne man von unserem Fenster aus den Fluß und die Berge schon sehen. Jetzt war es allerdings diesig und dunkel. Ich saß auf meinem Bett und fühlte mich zu erschöpft, um mich vom Fleck zu rühren.
    »Es ist jetzt neun Uhr«, sagte Kim. »Warum nimmst du nicht ein Bad, und wir treffen uns in einer halben Stunde in der Bar? Die Küche hier ist zwar ganz ausgezeichnet, aber das heben wir uns für morgen auf. Wir werden einfach eine Kleinigkeit am Kamin essen.«
    »In Ordnung.« Ich gähnte und stand auf. »Woher kennst du dieses Gasthaus eigentlich?«
    Kirn kicherte. »Tja, ein Relikt aus meiner bewegten romantischen Vergangenheit. Manchmal leistet es mir noch gute Dienste.«
    Ich nahm ein heißes Bad und benutzte sämtliche Badezusätze und -gels, die herumstanden. Ich wusch mir die Haare und schlüpfte in eine Leggings und ein flauschiges, weites Baumwollhemd. Kim hatte uns Plätze am Kamin gesichert und bereits zwei große Gin Tonic bestellt. Sie hob ihr Glas und stieß mit mir an.
    »Auf bessere Zeiten«, sagte sie.
    Meine Augen füllten sich mit Tränen, und ich trank einen großen Schluck von dem klaren, kalten Getränk.
    »Ich habe uns schon etwas zu essen bestellt«, fuhr sie fort.
    »Roastbeef-Sandwiches und eine Flasche Rotwein. Ist dir das recht?« Ich nickte; ich war froh, daß mir heute jemand alle Entscheidungen abnahm.
    »Morgen können wir eine lange Wanderung machen, irgendwo hoch hinauf, wo die Luft dünn und der Ausblick phantastisch ist. Falls es nicht regnet. Ich habe Wander-karten dabei, die können wir beim Frühstück studieren.«
    Wir tranken unsere Drinks und sagten beide lange nichts.
    Es gibt nur wenige Menschen, mit denen man zusammen schweigen kann, ohne daß es peinlich ist.
    Schließlich meinte Kim: »War es schlimmer, als du erwartet hast?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe.
    Aber es war trotzdem schlimm genug.«
    Die Sandwiches wurden gebracht; sie waren mit dünnen Scheiben rosa gebratenen Fleisches belegt, dazu gab es eine Meerrettichsoße. Der Wein war ein schwerer voll-mundiger Shiraz, samtig genug, um mich friedlich zu stimmen.
    »Warum habt ihr euch, Andreas und du, eigentlich getrennt? Ihr schient so glücklich miteinander.«
    »Wir waren auch glücklich. Zumindest dachte ich das.«
    Kim klappte ihr Sandwich auseinander und bestrich das Roastbeef mit Meerrettichsoße. »Erst hatte er mit mir noch darüber gesprochen, wohin wir nächsten Sommer in Urlaub fahren würden, und im nächsten Augenblick erzählt er mir, daß er und seine Ex-Freundin beschlossen hätten, es noch mal miteinander zu versuchen. Dann die alte Leier: ›Tut mir leid, danke für die schöne Zeit, ich werde dich nie vergessen, du bist wundervoll‹ und dieser ganze Mist.« Sie schenkte uns beiden Wein nach.
    »Ich war zu alt. Ich kann keine Kinder mehr bekommen.
    Ich verkörpere die Vergangenheit und nicht die Zukunft.«
    Sie hob ihr Glas: »Auf ein Altwerden in Schande.«
    Ich beugte mich vor und umarmte sie. »Er ist bescheuert.
    Er begreift nicht, was er an dir hatte.«
    Kim rang sich ein Lächeln ab. »Das Leben scheint nie so zu verlaufen, wie man es gerne möchte, oder? Wenn du mich damals, als wir zusammen studierten, gefragt hättest, was ich mir vom Leben wünsche, hätte ich dir geantwortet, daß ich alles haben will: eine gute, dauerhafte Beziehung, Kinder, viele Kinder, Karriere, Freunde. Ich habe Freunde, und ich habe Karriere gemacht, obwohl der Job mir heute nicht mehr so viel bedeutet. Den mache ich inzwischen mit links. Aber mit der

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