Der globale Polizeistaat
Rückbesinnung auf einen deutschen Theoretiker, der lange als furchtbarer Jurist verschrien war und nun international seine Auferstehung feiert: Carl Schmitt.
Der Wellenschlag autoritären Geistes war lange Zeit sanft, aber doch beharrlich. Etwa einmal pro Monat im Durchschnitt, so hat ein Verehrer ausgerechnet, erschien in den vergangenen Jahrzehnten irgendwo auf der Welt ein Buch von, über oder im Geiste von Carl Schmitt. »Ich sterbe nicht, denn mein Feind lebt noch«, orakelte der Staatsrechtsdenker lange vor seinem Tod 1984. Und was auch immer er damit gemeint haben mochte, er hatte recht. Die dunklen Ideen des Mystikers und Kronjuristen der Nazi-Diktatur bildeten seit 1949 tatsächlich weltweit das Grundrauschen antiliberaler und antidemokratischer Gesinnung.
Doch im neuen Jahrtausend, genauer seit dem 11. September 2001, ist aus dem Rauschen ein veritabler Sturm geworden. Der Tote ist auf dem besten Weg der Superstar der Thinktanks, Spindoctors und Staatsrechtler zu werden. In Europa und in den USA studieren sie Schmitt-Ideen wie die: Politik basiere auf der Unterscheidung von Freund und Feind.
Ein neuer Feind lebt: der Terrorist. Und es scheint, als hätte der Alte aus dem Sauerland ein paar Visionen hinterlassen, wie mit diesem umzugehen sei. »Kein Denker ist zurzeit so sehr der Mann der Stunde, zitiert in Berlin wie in Zürich, in Peking wie in Paris, in Venedig wie in London, in Jerusalem wie in Moskau,
in Bagdad wie, vor allem dort, in Washington«, heißt es in einem frischen Produkt der Schmittomanie, einem 500-Seiten-Wälzer des Lüdenscheider Literaten Christian Linder: »Der Bahnhof von Finnentrop«, eine einfühlsame Reise ins Heimat-Sauerland des Denkers.
Warum müssen wir uns einfühlen in die Gedankenwelt, die Seelenpein eines Mannes, der die Weimarer Republik in Grund und Boden geschrieben und Adolf Hitler hochgejubelt hat? Der dem Holocaust vor den Anklägern des Nürnberger Kriegsverbrechergerichts mit dem Hinweis begegnete, »das Christentum hat auch in der Ermordung von Millionen Menschen geendet«? Weil, sagt Autor Linder, der Mann »eines der größten Rätsel der europäischen Geistesgeschichte« sei. Nun ist es nicht schwer, zum Rätsel zu werden, wenn man sich nur dunkel genug ausdrückt. »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« Da ist er, der Ausnahmezustand.
Schmitts berühmtester Satz ist, bei Licht betrachtet, Unsinn. Doch der Satz gaukelt wie eine Fata Morgana eine Rechtfertigung vor für etwas, das nach bisherigem Grundgesetzverständnis ausgeschlossen schien: Herr Professor, darf der Staat die Verfassung brechen?
Alle lesen nach beim Professor Schmitt. Die Berater des Expräsidenten Bush haben es auch getan. Muss sich der Präsident vom Kriegsrecht behindern lassen, wenn er »unrechtmäßige Kämpfer« foltern und in Guantanamo verschwinden lässt? Gilt die Uno-Erklärung der Menschenrechte nicht für die Vereinigten Staaten? Und ist der Präsident im Umgang mit dem Feind an die US-Verfassung gebunden? Selbst der U. S. Supreme Court hat sich über diese Frage zerstritten.
Noch spannender ist die »Freund-Feind-Theorie« der neuen amerikanischen »Carl-Schmitt-Politik« (Linder) für die Freunde. Der deutsche Innenminister - »was soll ich denn machen?« - hat sein eigenes Crime/War-Dilemma, seit das Bundesverfassungsgericht 2006 den Abschuss von Passagierflugzeugen in Terroristenhand verboten hat. Ist der Kampf gegen den Terror
im Niemandsland zwischen Krieg und Innerer Sicherheit mithilfe der Bundeswehr zu gewinnen? Soldaten als Polizisten im Land des Grundgesetzes? Was gilt für die nach Karlsruher Lesart uneinschränkbare Menschwürdegarantie des Grundgesetzes im Ausnahmezustand? Darf ein Innenminister Krieg gegen Terroristen führen? Lies nach bei Schmitt.
Schäuble verweist, wenn es um solche Fragen geht, auf jüngste Veröffentlichungen von Staatsrechtlern, die ganz offen den Bruch des Grundgesetzes, nämlich ein übergesetzliches Staatsrecht des Ausnahmezustands, propagieren. Zu den Empfohlenen gehört Otto Depenheuer, Staatsrechtler an Carl Schmitts einstiger Wirkungsstätte, der Universität Köln.
Depenheuer lehrt: »Das Grundgesetz ist für den terroristischen Ernstfall nicht gerüstet.« Und der Ernstfall sei eigentlich schon da, und zwar dauerhaft: »So ort- und zeitlos die terroristische Bedrohung, so permanent die Ausnahmelage.« In der Ausnahmelage aber müsse Schluss sein mit dem »Verfassungsautismus« der Kinder des Grundgesetzes
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