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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Darnstädt
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handlungsfähig sei, wenn es normativ Kraft bekommt. Ein Verfassungsorgan ohne verfassungsrechtliche Deckung muss man sich vorstellen wie ein Elektrogerät ohne Strom. Man startet, es macht klick - aber es bewegt sich nicht.
    Oder bewegt es sich doch? Durch okkulte Kräfte? Der am Widerstand von Teilen der SPD gescheiterte Versuch der Großen Koalition im Oktober 2008, mittels einer kleinen Verfassungsänderung den überverfassungsrechtlichen Ausnahmezustand ins
Verfassungsrecht zu integrieren, hätte ein Monster geboren. Der Vorgang ist sehr lehrreich.
    In Artikel 35 des Grundgesetzes fügten die Verfassungsveränderer eine Erlaubnis für die Bundeswehr ein, notfalls bei der Terrorabwehr zu helfen: »Zur Abwehr besonders schwerer Unglücksfälle« dürfe die Regierung künftig den »Einsatz von Streitkräften mit militärischen Mitteln anordnen«. Merkwürdig an dieser Neuerung ist schon die Nummer: Unter Artikel 35 sind bislang Vorschriften über Amtshilfe und Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern eingeordnet. Kein Wort von Krieg und Terror. Offiziell ging es auch bei der neuen Regelung nur darum, den Ländern, wenn ihre Polizisten nicht mehr weiterwissen, ein bisschen zu helfen. Gut gemeint. Der Soldat, dein Freund und Helfer.
    Eine zweite Lektüre der kurzen Formulierung für Artikel 35 machte jedoch deutlich, wie umfassend die Hoheit der Bundeswehr über die Sicherheit im Lande und in den Ländern künftig sein sollte. Bedrohlich war die Vorschrift wegen all dessen, was sie verschweigt. Hier ging es nicht nur darum, den Todesschuss am Himmel zu erlauben. Die unklare Formulierung vom »besonders schweren Unglücksfall« verwies auf mehr. Nun bestreitet niemand, dass auch ein Terrorangriff ein Unglücksfall wäre - aber wer weiß, was noch so alles an Furchtbarem auf die Republik zukommen würde, deren Prinzip bislang war, dass Militär nicht im Inland eingesetzt werden darf.
    Die geplante Verfassungsänderung ging über rechtsstaatliche Mindestanforderungen hinweg. Rechtsstaatlich ist für jede militärische Aktion im Inland - wenn man sie überhaupt zulässt - eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nötig. Wann darf geschossen werden? Womit? Gegen wen dürfen Raketen eingesetzt werden? Und weil das Verfassungsgericht wichtige Teile des alten Luftsicherheitsgesetzes gekippt hatte, musste nun auch diese Frage erneut genau geregelt werden: Wann darf wer auf welchen roten Knopf im Abfangjäger drücken?
    Beim Bundesinnenministerium hatten sie mitteilen lassen, dass ihnen solche Rechtsgrundlagen eigentlich egal sind. Wer keine
Gesetze macht, muss auch nicht befürchten, dass das Bundesverfassungsgericht sie aufhebt. Darum wurde der Abschuss von Passagierflugzeugen diesmal nicht in eine Ermächtigungsgrundlage gefasst. Ob die Voraussetzungen für den schwarzen Befehl vorliegen, so hieß es in einer Stellungnahme des Schäuble-Hauses, »wird derjenige zu entscheiden haben, der Entscheidungsträger in der konkreten Situation ist«. Die Verfassungsänderung, so die Entwurfsbegründung, sollte deutlich machen, »dass Einwirkungen, die auch Dritte betreffen, vor der Rechtsordnung der Gesamtheit der geschriebenen und ungeschriebenen Normen Bestand haben«.
    Da war er, erstmals in der Form eines harmlos daherkommenden Gesetzesentwurfs: der überverfassungsrechtliche Ausnahmezustand. Ins Grundgesetz sollte der Bundeswehr eine großzügige innerstaatliche Aufgabe zur Terrorabwehr hineingeschrieben werden. Die rechtsstaatlichen gesetzlichen Konkretisierungen sparte man sich. Irgendeiner würde, wenn’s brennt, auch ohne Rechtsgrundlage entscheiden - in die Verfassung sollte es ja vage hineingeschrieben werden.
    Versucht haben sie es immerhin. Wer so etwas macht, nimmt in Kauf, dass künftig nicht nur die deutschen Banken, sondern auch die Garantien der deutschen Verfassung kein Vertrauen mehr genießen. Denn dann gibt es eine Rechtsordnung mit doppeltem Boden: Erstens die Grundrechte, die Garantie der Menschenwürde, die Gewaltenteilung, beschützt und bekräftigt vom Bundesverfassungsgericht. Zweitens die »Gesamtheit der geschriebenen und ungeschriebenen Normen«, die einen Innenminister oder einen General legitimieren zu tun, was er für richtig hält. Motto: Not kennt kein Gebot.
    Nichts hindert dann den Innenminister oder den Verteidigungsminister, Bundeswehrpanzer und mobile Raketenabschussbasen bei Nacht und Nebel vors Hamburger SPIEGEL-Haus rollen zu lassen. Eine neue SPIEGEL-Affäre? Ein Staatsstreich? Nö, nur

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