Der globale Polizeistaat
anderen Staates. Ausnahmen von dieser Regel gab es herkömmlich draußen auf den Weltmeeren. Diesen »negativen« Überschneidungsbereich, diese Staatenlücke, nutzten schon immer die Piraten aus. Ähnliche »negative« Überschneidungen gibt es im Verhältnis zu
Staaten, deren innere Ordnung zu schwach oder zu korrupt ist, um als »innere Ordnung« zu funktionieren. Die Terroristen sind es, die diese Lücken zu nutzen wissen.
Nur eine überstaatliche Macht kann in den verwickelten Verhältnissen schwacher, halb starker und gefährlich starker Staaten, in den umstrittenen Niemandsländern der zerstrittenen Völkerfamilie regelnd eingreifen, ohne in den Ruch zu kommen, einen Krieg zu führen oder auch nur Politik zu machen. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hat es immerhin rund dreihundert Jahre lang funktioniert - wenn auch, zugegeben, nicht immer gut.
»Schreie, Getrampel, Jubel«
Die Neuordnung der Welt - Ein bisschen gelungen -
Die Betonierung des Staates - Der Beweis, dass es geht -
Ein Terroristen-Tribunal? - Das Ich und das Recht
Das Prinzip des Reichskammergerichts hat sich gleichwohl bis heute gehalten. Im Völkerstrafrecht ist eine Entwicklung zu beobachten, die das historische Modell aufgenommen hat und die hier skizzierte Utopie im Kern vorwegnimmt. Diese Entwicklung begann mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die kühne Rechtsschöpfung amerikanischer Völkerrechtler war ein Gerichtsstatut, das zunächst nur die Durchsetzungskraft der siegreichen Alliierten über Deutschland hatte, gleichwohl zum epochalen Vorbild wurde. Erstmals wurde im sogenannten »Hauptkriegsverbrecherprozess« gegen eine Handvoll führender Politiker und Militärs der Hitler-Diktatur ein völkerrechtlich begründetes Strafrecht angewandt, das für sich in Anspruch nahm, als Recht der Völkergemeinschaft, ohne Rücksicht auf staatliche Souveränität und ohne Bezug zu irgendeiner innerstaatlichen Rechtsordnung, direkten Zugriff auf einzelne veranwortliche Personen zu nehmen, gleich welches
Staates Bürger sie waren. Der ehrgeizige US-Jurist Robert Jackson war es, der sich vorgenommen hatte, in Nürnberg »die Neuordnung der Welt nach den Grundsätzen des Rechts« in Angriff zu nehmen. Das war der Satz aus dem Mund eines Mannes, der sich durchaus vorstellen konnte, einmal amerikanischer Präsident zu werden.
Es ist ihm gelungen - ein bisschen. Jacksons rechtliche Heldentat von Nürnberg ist immer wieder der Politik des Präsidenten George W. Bush entgegengehalten worden: Die US-Politik im Krieg gegen den Terror, so machten innenpolitische Gegner des Präsidenten geltend, ruiniere das große Vermächtnis, das Amerikaner wie Jackson mit Nürnberg hinterlassen haben. »Nuremberg« wurde in Reden demokratischer Senatoren zum Gegenbegriff zu Guantanamo.
Die historische Heldentat von Juristen, den besiegten Gegnern einen Prozess statt ein Blutbad zu liefern, war die moderne Variante des alten Rezeptes »Frieden durch Recht«. Der Kalte Krieg, die Betonierung aller Staaten und ihrer »inneren Angelegenheiten«, verhinderten zunächst, dass das Nürnberg-Prinzip sich im Völkerrecht durchsetzte. Doch als mit dem Ende des Ost-West-Konflikts das Gleichgewicht des staatlich organisierten Schreckens ebenso wie die Staatenwelt auf dem Balkan zusammenbrach, bekam das Völkerrecht so wie nach dem Zweiten Weltkrieg einen Knacks. Das Wort von den »asymmetrischen Kriegen« breitete sich zusammen mit der wilden Gewalt aus, die aus dem Monopol souveräner Staaten ausgebrochen war. Die Idee, dass es der Mensch ist, der den Menschen bedroht - und nicht immer nur der Staat - brachte ein Revival des Völkerstrafrechts. Ausdrücklich als »friedenstiftende Maßnahme« nach Nürnberger Vorbild beschloss der UN-Sicherheitsrat die Einrichtung des Jugoslawien-Tribunals. Das internationale Gericht bekam den Auftrag, mit den Regeln des Völkerstrafrechts der Gewalt auf dem Balkan entgegenzutreten. Ein Kanon des überstaatlichen Strafrechts entstand. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen: Dies sind seitdem
die weltweit definierten Untaten, die Anlass für Völkerrechttribunale sind, gegen Tyrannen und Militärs vorzugehen, gegen Staatsmänner vom Schlage des Serben-Diktators Slobodan Milosevic ebenso wie gegen Warlords vom Schlage des ugandischen Sektenführer Joseph Kony.
Der entscheidende Schritt in der Entwicklung der Weltgerechtigkeit war im Jahr 1998 die Gründung des
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