Der globale Polizeistaat
Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Das Statut von Rom ist das Gründungsdokument, die Verfassung und das Gesetzbuch des Gerichts - weit über hundert Staaten haben es mittlerweile ratifiziert und sich mit ihren Bürgern der Weltjustiz unterworfen. Das Statut von Rom ist der Beweis, dass es geht, dass die Welt mitmacht bei der Neuordnung nach den Grundsätzen des Rechts. Die Begeisterung bei den Diplomaten und Völkerrechtlern aus aller Welt, die jahrelang für eine Übereinkunft gestritten hatten und an einem Julitag des Jahres 1998 die Unterschriften vollzogen, kann nicht kleiner gewesen sein als damals, beim Ewigen Landfrieden. Der deutsche Diplomat Hans-Peter Kaul, einer der Gründer des Gerichts, beschreibt, wie man sich fühlt, wenn Frieden durch Recht gemacht wird: »Als das Statut mit 120 Ja, 21 Enthaltungen, sieben Nein-Stimmen angenommen wird, bricht unter den tausendfünfhundert Teilnehmern ein Sturm von Emotionen los, beispiellos für eine solche Konferenz: Schreie, Getrampel, nicht enden wollender Jubel, Tränen der Freude und der Erleichterung. Hartgesottene Delegierte und Journalisten, die vorher die ganze Zeit die Konferenz mit heruntergezogenen Mundwinkeln verfolgt haben, liegen sich gegenseitig in den Armen. Und ich erinnere mich auch, dass ein deutscher Delegierter, sonst eher besonnen, wie ein Gummiball auf- und abhüpft, mir ständig in die Rippen boxt, völlig atemlos - ›Herr Kaul, Herr Kaul, wir haben es geschafft, wir bekommen einen internationalen Strafgerichtshof‹.« 26
Anders als der Internationale Gerichtshof, mit dem das Weltstrafgericht oft verwechselt wird, ist die Neugründung kein Staaten-Gericht, wo das alte Völkerrecht der symmetrischen Welt
gleichberechtigter Souveräne verhandelt wird. Das Internationale Strafgericht beschäftigt sich mit der Welt der asymmetrischen Kriege, mit Menschen als Völkerrechtsverbrechern und Menschen als ihren Opfern. So ist das Gericht ein Institut des Schutzes vor besonders schwerer Gewalt - der Schutz der Menschenrechte steht im Mittelpunkt der Arbeit der Weltrichter. Das Gericht übt seine Autorität über jenen Graubereich zwischen Krieg und Frieden aus, der im Kampf gegen den Terrorismus so problematisch geworden ist: Die Verbrecher, die vor diesem Gericht stehen, haben sich der Rechtsmacht ihrer Staaten in der einen oder anderen Weise entzogen und sind keine Angelegenheit der inneren Sicherheit mehr. Es sind entweder die Machthaber selbst, wie etwa der sudanesische Präsident Omar Hassan al Bashir, der von den Den Haager Anklägern per Haftbefehl verfolgt wird, oder es sind Rebellen, die ihr Land in Rechtlosigkeit gestürzt haben, so dass die Staats-Justiz, soweit sie überhaupt noch handlungsfähig ist, ihnen nicht contra bieten kann. International bedrohliche Terroristen gehören bislang noch nicht zur Klientel der Weltrichter. Aber Völkerrechtler wie der erste Präsident des Jugoslawientribunals Professor Antonio Cassese legen es nahe, auch den Al-Kaida-Terrorismus als Völkerrechtsverbrechen zu behandeln.
Das Erstaunlichste am Völkerrechtstrafgericht aber ist seine Unabhängigkeit: Kein Staat der Welt kann Einfluss auf das Recht nehmen, das hier gesprochen wird. Die Uno als Organisation des Westfälischen Staatensystems hat zwar das Völkerrechtstribunal für Jugoslawien noch selbst ins Leben gerufen, mit diesem neuen Menschheits-Gericht aber hat sie nichts zu tun. Die Gründer haben ihr Statut vielmehr als Unabhängigkeitserklärung vom mächtigen Welt-Sicherheitsrat gemeint. Nur marginale Befugnisse hat das Gremium der machtgierigen Weltmächte, in die Mühlen der Völkerrechtsjustiz einzugreifen - und auch diese werden bei Gericht als »Konstruktionsfehler« des Statuts empfunden. So gab es 2008 viel Aufregung, weil der Sicherheitsrat sich anschickte, den Chefankläger des Gerichts daran zu hindern, einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten al Bashir
zu beantragen. Die Vetomacht China fürchtete um das Wohl des afrikanischen Verbündeten. Der freche Chefstaatsanwalt Luis Moreno Ocampo konnte es sich leisten, die teilweise sehr persönlichen Angriffe gegen ihn lächelnd abperlen zu lassen: »Das bin nicht ich, das ist das Recht.«
»Keimzelle eines Weltstaates«
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Viel mehr als einen hemdsärmeligen Ankläger, weltweite Autorität und ein Hightechgefängnis in
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