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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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das Haupttor zu stoßen begannen, fiel der Steinhagel herab, so daß es ihnen schien, die Kirche reiße sich selbst nieder, um auf ihre Häupter zu stürzen.
    Die Gauner wurden aber nicht entmutigt. Schon mehr als zwanzigmal erbebte das dichte Tor, gegen das sie so erbittert anrannten, unter der Schwere des eichenen Widders, durch die Kraft von mehr als hundert Menschen vervielfacht. Die Vertiefungen krachten, das Schnitzwerk flog in Splittern umher, bei jedem Stoß sprangen die Angeln auf den Ringnägeln in die Höhe, die Bretter verrückten sich, das Holz fiel neben dem Eisenbeschlag zerbröckelt nieder. Glücklicherweise für Quasimodo war mehr Eisen als Holz an der Tür. Er merkte aber, die Tür wankte. Obgleich er die Stöße nicht hörte, fühlte er, alle Höhlungen der Kirche würden erschüttert. Er sah, wie die Landstreicher, voll Wut und Siegesfreude, der dunklen Fassade mit der Faust drohten; für sich und die Zigeunerin beneidete er die Eulen, die in Schwärmen über seinem Haupte davonflogen, um ihre Flügel. Sein Steinregen genügte nicht mehr, die Stürmenden zurückzutreiben. In diesem Augenblick bemerkte er, etwas tiefer als die Balustrade, von wo er die Landstreicher zerschmetterte, zwei lange, steinerne Dachrinnen, die unmittelbar über das Haupttor ausliefen. Die innere Öffnung dieser Rinnen ging vom Pflaster der Platte aus. Da faßte er einen Gedanken. Aus einer Glockenzelle holte er ein Reisigbündel, legte Latten und Bleirollen darauf, Munition, die er noch nicht benutzt hatte, und als er den Scheiterhaufen vor dem Loch der Rinne zurechtgelegt hatte, zündete er ihn mit seiner Laterne an.
    Als nun die Steine nicht mehr hinabfielen, hörten die Gauner auf, nach der Fassade hinzublicken. Gleich einer Meute, die den Eber in seinem Lager überwältigt, drängten sie sich um das zwar entstellte, aber noch immer nicht zersprengte Haupttor. Schäumend horchten sie auf den Hauptstoß, der es aufreißen sollte. Jeder suchte sich heranzudrängen, um zuerst in die Kathedrale zu stürzen, in den reichen Behälter, wo die Schätze von drei Jahrhunderten sich aufgehäuft hatten. Sie erinnerten einander mit dem Brüllen der Freude und Habgier an die schönen silbernen Kreuze, die Brokatmäntel, die Gräber mit vergoldetem Silber, die Pracht des Chors, die blendenden Feste, die von Fackeln funkelnden Weihnachten, die im Sonnenschein strahlenden Ostern, an alle glänzenden Feste, wo Kronleuchter, Monstranzen, Tabernakel, Reliquien, die von Gold und Diamanten starren, die Altäre schmückten. Gewiß dachten alle in diesem schönen Augenblick weniger an die Befreiung der Zigeunerin als an die Plünderung der Kirche. Auch glauben wir gern, daß der Name Esmeralda für die meisten nur ein Vorwand war, wenn Diebe überhaupt eines Vorwands bedürfen.
    Plötzlich, als sich alle zur letzten Kraftanstrengung um den Widder sammelten, wobei jeder den Atem anhielt und die Muskeln straff zusammenzog, um dem entscheidenden Stoße alle Kraft zu verleihen, erhob sich aus ihrer Mitte ein Geheul, noch furchtbarer als der Schrei, der unter dem Balken ausbrach, und erstarb. Wer nicht tot war oder verwundet, blickte nach oben. Zwei Strahlen geschmolzenen Bleis flossen vom Gebäude herab in das dichteste Gedränge. Man sah, wie vor Schmerz brüllende und sterbende Männer sich wanden. Das Geschrei war herzzerreißend. Alle flohen, die Furchtsameren wie die Kühnsten, und warfen den Balken auf die Leichen. In einem Augenblick war der Vorplatz geräumt. Aller Augen erhoben sich zur Kirche. Was sie dort sahen, war außergewöhnlich. Auf dem höchsten Gipfel der Galerie über der Zentralrosette stieg eine lodernde Flamme mit Funkenwirblen, deren Spitze hin und wieder in den Rauch aufschoß, zwischen den beiden Türmen empor. Unter der Flamme spien zwei Rachen von Ungeheuern unaufhörlich einen brennenden Regen aus, dessen Strom einen silberfarbenen Schein auf das Dunkel der unteren Fassade warf. Ein Schweigen des Schreckens herrschte unter den Landstreichern. Man hörte nur den Notruf der in ihrem Kloster eingeschlossenen Priester, die geängsteter waren als Pferde in einem brennenden Stall, das schnelle Öffnen und Zuschlagen der Fenster, den Lärm im Innern des Hotel-Dieu, den Wind in der Flamme, das Röcheln der Sterbenden und das fortwährende Prasseln des Bleiregens auf dem Pflaster.
    Die Führer der Landstreicher zogen sich unter die Vorhalle des Hauses Gondelaurier zurück und hielten Rat. Der Zigeunerherzog saß auf einem

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