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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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riß der Taube ihm alle Stücke seiner Rüstung mit unheilvoller Langsamkeit nacheinander vom Leibe, den Degen, die Dolche, den Helm, den Harnisch, die Schienen. Quasimodo warf Stück für Stück der Eisenschale des Studenten ihm vor die Füße.
    Als dieser sich entwaffnet, entkleidet, schwach und in den furchtbaren Händen Quasimodos sah, machte er keinen Versuch, mit dem Tauben zu reden, sondern lachte ihm frech ins Gesicht und sang mit der Sorglosigkeit eines Knaben von sechzehn Jahren das damals beliebte Volkslied:
    Die Stadt Cambray, schön gekleidet,
    Wird von Marafin ausgeweidet.
    Er endete sein Lied nicht. Man sah, wie Quasimodo an der Brüstung der Galerie stand, den Studenten an den Füßen packte und ihn wie eine Schleuder in der Luft im Kreise schwang, dann sah man etwas hinabfallen, das an einem Schnörkel der Architektur hängen blieb. Es war ein toter Körper, der dort zerknickt, mit zerschmetterten Lenden und leerem Gehirn schwebte.
    Ein Schrei des Schauders erhob sich unter den Landstreichern. „Rache!“ schrie Clopin. – „Nieder mit ihm!“ erwiderte die Menge. – „Sturm! Sturm!“ – Ein furchtbares Geheul erschallte, worin sich alle Sprachen, alle Akzente, alle Provinzialdialekte mischten. Der Tod des armen Studenten befeuerte die Menge mit glühender Wut. Sie empfand Scham und Zorn, durch einen Buckligen so lange in Schach gehalten zu sein. Die Wut fand Leitern, vervielfältigte die Fackeln, und nach einigen Minuten sah Quasimodo bestürzt, wie das furchtbare Gewimmel von allen Seiten zum Sturm hinankletterte. Die Stadt schien sich zu regen. Der Platz funkelte von tausend Fackeln. Die bis dahin im Dunkel verhüllte Szene der Verwirrung entzündete sich plötzlich im Feuerschein. Sturmglocken schallten in der Ferne. Die Landstreicher keuchten, heulten, fluchten und stiegen hinan. Quasimodo, kraftlos gegen so viele Feinde, zitterte für das Leben der Zigeunerin, als er die wütenden Fratzen der Galerie stets näher erblickte. Er flehte zum Himmel um ein Wunder und rang die Arme in Verzweiflung.

45. Ludwig XI. in der Bastille
    Vielleicht hat der Leser noch nicht vergessen, daß Quasimodo, als er kurz vor dem Herannahen der Landstreicher Paris von der Turmspitze her besah, nur ein Licht erblickte, das ein Fenster im höchsten und düstersten Gebäude am Tore St. Antoine erhellte. Dies Gebäude war die Bastille, und das Licht rührte von der Wachskerze Ludwigs XI. her. Zwei Tage schon war König Ludwig in der Hauptstadt, die er aber in zwei Tagen schon wieder verlassen wollte. Seiner guten Stadt Paris stattete er immer nur kurze und seltene Besuche ab, weil er dort nicht genug Fußeisen, Galgen und schottische Bogenschützen in seiner Umgebung hatte. An diesem Tage wollte er in der Bastille schlafen. Sein großes Schlafgemach im Louvre mit seinen fünf Quadrat-Klaftern Umfang, mit seinem Bett von elf Fuß Breite und zwölf Fuß Länge, war ihm gar nicht behaglich. Der gute König mit bürgerlichen Neigungen zog seine Bastille vor mit einem Kämmerchen und Bettchen. Und dann war die Bastille ja auch bei weitem fester als der Louvre.
    Dieses Kämmerchen, das der König in seinem berühmten Staatsgefängnisse sich vorbehalten hatte, war ziemlich breit und nahm das höchste Stockwerk eines Türmchens ein. Es war ein halbrunder Winkel, tapeziert mit glänzendem Strohgeflecht, mit Balken an der Decke, die mit Linien von vergoldetem Zinn beschlagen und deren Zwischenräume gefärbt waren; das Getäfel, mit zinnernen Rosetten durchsät, war aus schönem Holz und kunstvoll angestrichen. Im Zimmer befand sich nur ein Fenster, ein langer Spitzbogen mit eisernem Drahtgitter; die Fensterscheiben waren mit dem Wappen des Königs und der Königin bemalt. Nur ein Eingang, mit nach neuerem Geschmack gedrücktem Bogen, führte hinein. In diesem Zimmer fand man nichts als einen prächtigen Armstuhl, zum Zeichen, daß nur eine Person im Gemache das Recht besaß, sich zu setzen. Seitwärts vom Stuhle stand ein mit einem Teppich bedeckter Tisch. Auf dem Tisch stand ein Schreibzeug, daneben lagen einige Pergamente und ein Gebetbuch. Endlich stand im Hintergrunde ein einfaches Bett von gelbem Damast; das Zimmer war sehr dunkel, und nur ein Wachslicht mit zitterndem Schein stand auf dem Tisch, fünf Personen zu leuchten, die in der Kammer auf verschiedene Weise sich gruppierten.
    Der erste, auf den das Licht fiel, war ein prächtig gekleideter Herr, in Wams und Hosen und Scharlach mit Silberstickerei und mit einem

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