Der glücklose Therapeut - Roman

Das könnten Sie einfach so tun, auf der Stelle. Was zeigt uns das? Es zeigt uns, dass wir zwar nicht verändern können, was wir fühlen, doch wir können unser Verhalten verändern. Zu unserem Glück sind unser Handeln und unsere Gefühle auf überraschende Weise miteinander verknüpft. «
    » Überraschend … « , murmelte er, klang jedoch nicht überrascht.
    » Richtig. Die meisten Menschen glauben, die Verbindung zwischen Handeln und Gefühlen sei einseitig, dass Gefühle einfach Taten in Gang setzten. Sie lieben Mimi, deshalb nehmen Sie sie in den Arm. Sie ärgern sich über Ihre Kundin, deshalb beschimpfen Sie sie. Sie sind deprimiert, deshalb liegen Sie vor dem Fernseher. Doch die Verbindung zwischen Gefühl und Handeln geht in beide Richtungen. Auch Handlungen schaffen Gefühle. Sie möchten sich verlieben? Fangen Sie an, jemanden zu umarmen. Wollen Sie sich ärgern? Dann fangen Sie an zu schimpfen. Handlungen bringen Emotionen hervor. Wenn Sie sich schlecht fühlen und sich zum Beispiel entscheiden zu warten, bis es Ihnen besser geht, bevor Sie Golf spielen gehen – Sie sagten, Sie spielen gerne Golf … «
    » Ja, schon « , sagte er freudlos.
    Ich erkannte, dass er sich nicht wirklich auf unser Gespräch eingelassen hatte. Vielleicht spürte er, dass ich genau diesen Vortrag schon Hunderte Male gehalten hatte, dass diese Rede gar nicht ihm galt, sondern dem generisch »depressiven Klienten«. Ich hielt inne und sah ihn an.
    Ich schätze, es gibt Psychologen, denen es gelingt, dem Klienten das Gefühl zu geben, dass in diesem Moment auf der ganzen Welt nur er und seine Probleme existieren, Psychologen, denen es gelingt, spontane Worte zu finden, die aus dieser besonderen Begegnung entspringen und nur ihr allein angehören. Solche Psychologen gibt es ebenso, wie ich mir vorstelle, dass es Politiker gibt, die jedem, dem sie begegnen, das Gefühl vermitteln, sie nähmen sich tatsächlich seiner Sorgen an; so wie ich annehme, dass es Prostituierte gibt, die ihre Kunden in dem Glauben wiegen, ihre Berührung versetze sie in Ekstase. Doch in all diesen Fällen beruht der Zauber auf einem stillschweigenden Pakt zwischen den Parteien. Die, die dem magischen Politiker, der magischen Prostituierten oder dem magischen Psychologen begegnen, möchten an diese Magie glauben; sie möchten sich von diesem Zauber gefangen nehmen lassen. Depressive Klienten wiederum glauben an so etwas nicht im Geringsten. Sie stehen bereits im Bann eines sehr viel stärkeren Zaubers.
    Nun bin ich keiner dieser talentierten Alchemisten; ich kann Stroh nicht zu Gold spinnen. Doch auch Stroh hat seinen Wert; und ein Mann muss tun, was er tun kann. Ich beugte mich zu Barry: » Wenn Sie warten, bis sich Ihre Stimmung ändert, dann werden Sie ewig warten « , sagte ich. » Und Sie haben nicht ewig Zeit. Doch wenn Sie trotzdem auf den Golfplatz gehen und anfangen, Bälle zu schlagen, wird sich das Gefühl, das Sie früher dabei empfunden haben – dieses Glück –, allmählich wieder einstellen und Ihr Handeln begleiten. «
    Er warf mir einen verdutzten Blick zu. » Sie möchten, dass ich handle … und irgendwie so tue, als ob? « , sagte er zögernd. » Ist es das, was Sie wollen? «
    » Ja. Es gibt darin eine Komponente des ›So-tun-als-ob‹. Ich möchte, dass Sie Dinge tun, als ob Sie sich gut fühlten. Dass Sie Dinge tun, die Sie tun würden, wenn es Ihnen gut ginge. Dinge, die Sie früher getan haben, als Sie sich gut fühlten. Ich möchte, dass Sie sie immer wieder tun, selbst wenn es sich am Anfang merkwürdig anfühlt, sogar unnatürlich. Aus der richtigen Tat wird ein gesundes Gefühl entstehen. Lassen Sie uns eine Liste zusammenstellen. Fünf Dinge, die Sie gerne tun, die in Ihrer persönlichen Welt eine Verbindung herstellen zu Gefühlen von Zufriedenheit, Hoffnung, Glück … «
    Barry Long versank in Schweigen. Ich dachte, dass das Gefühl von Freude, von Glück vor langer Zeit in ihm gestorben sein musste, wie Muskeln, die atrophieren, wenn sie nicht gebraucht werden. Er nickte langsam und murmelte etwas. Ich begriff, dass er diese Liste nicht anfertigen wollte. Und dass er es auch nicht konnte. Wer in den Tiefen einer Depression gefangen ist, braucht nicht nur eine Leiter, um herauszukommen, sondern auch die Kraft, sich an ihr festzuhalten. Fehlt diese Kraft, wird das Vorhandensein der Leiter die Verzweiflung nur noch verstärken. Deshalb drang ich nicht weiter in ihn, sondern saß da und schwieg. Auch Barry Long saß da und