Der glücklose Therapeut - Roman
Vater noch blieb. Es schien ihr nicht richtig, dass eine Familienfehde, nicht einmal eine ernsthafte, die Atmosphäre so sehr vergiften sollte, einen Sohn von seinem alternden Vater fernzuhalten.
» Es macht mir Kummer « , sagte sie.
» Warum versuchst du nicht, zu dem Sohn Verbindung aufzunehmen « , sagte ich, » eine Versöhnung in die Wege zu leiten? Du hast nichts zu verlieren, und Dr. McCormick hat vielleicht etwas zu gewinnen, und vielleicht auch sein Sohn. «
» So funktioniert es nicht « , erwiderte sie. » Aus Erfahrung weiß ich, dass die Kinder unserer Klienten oft nicht mit unserer Arbeit einverstanden sind. Sie verdächtigen uns; sie verdächtigen uns, dass wir auf sie herabsehen oder über sie urteilen. Sie projizieren ihre Schuldgefühle, weil sie ihre Eltern im Stich gelassen haben, auf uns. Oder es gefällt ihnen nicht, mitanzusehen, wie ihre Eltern uns mit Dankbarkeit überschütten, die sie selbst im Laufe der Jahre vielleicht nie bekommen haben. Die Menschen benehmen sich wie Kinder, wenn es um ihre Eltern geht « , sagte sie. » Verstehe das, wer will. «
8
M enschen, die zur Schwarzmalerei neigen, haben mit ihren Vorhersagen gewöhnlich nicht recht; was nicht bedeutet, dass diejenigen, die das nicht tun, sich in Sicherheit wiegen könnten. Ich sagte keine Katastrophe voraus. Ich sagte überhaupt nichts voraus. Mein Leben war zu diesem Zeitpunkt irgendwo in der Mitte angelangt – einer merkwürdigen Mitte, dem Ende näher als dem Anfang –, wo einem langsam die Knie weich werden. Unter der Dusche seifte ich mich gemächlich ein und stand dann, weiß und schaumig wie eine Wolke, eine ganze Weile außerhalb des warmen Wasserstrahls, stützte mich mit der Hand gegen die Wand und beobachtete, wie das Wasser unter mir um den Abfluss kreiselte, und wünschte mir, levitieren zu können, unbeobachtet an einem unendlich weiten, dunklen Himmel dahinzuschweben.
Nachdem Sam ausgezogen und ans College gegangen war, hatte sich bei mir ein überraschendes Freiheitsgefühl eingestellt, das, wie jedes Freiheitsgefühl, mit Trauer vermischt war – eine Trauer über das Ende des Tages, die überwältigende Macht der Zeit über alles und jeden. Manchmal ging ich in Sams altes Zimmer, nur um die Luft dort einzuatmen. Seit ihre Zeit in unserem Haus zu einer Erinnerung geworden war, fiel es mir leichter, diese Erinnerungen zu genießen. Ich erinnerte mich, wie sie einmal morgens um vier nach mir gerufen hatte. Ich war schlaftrunken zu ihr gestolpert und hatte gefragt: » Was ist los, Baby? « Und sie sagte: » Hol Mommy. «
Nachdem sie ausgezogen war, betrachtete ich ihr leeres Bett, die Poster an der Wand, ein paar alte Kleider, die noch im Schrank hingen – das heißt, bevor Alex sie herausnahm, verpackte und im Keller verstaute und mit der Renovierung begann, die Wände rosafarben strich, um ein Büro einzurichten, von dem aus sie ihren Anteil an dem florierenden Seniorenumzugsunternehmen erledigen konnte. Alex’ Energie hatte eine seltsam verstörende Wirkung auf mich. Sie schritt voran und ließ mich zurück.
Meine Verstörung wurde noch größer, als ich eines Abends mit Alex bei Ake zu Abend aß und sie zu mir sagte: » Große Neuigkeiten von Sam; ich darf es dir eigentlich noch gar nicht erzählen. Du musst versprechen, das Geheimnis für dich zu behalten. «
» Geheimnisse zu wahren, ist mein Beruf. «
» Sam hat einen Freund « , sagte sie. » McKenzie Sowieso. «
» Ein Student? «
» Nein, aber er arbeitet an der Universität – etwas mit Computerprogrammierung, ich weiß es nicht genau. «
» Ist das der Grund, warum wir sie nicht mehr zu Gesicht bekommen? «
» Wahrscheinlich. Und auch, weil sie inzwischen erwachsen ist. Wie auch immer, es scheint etwas Ernstes zu sein. «
» Woher weißt du das? Hat sie etwas gesagt? «
» Ich merke es. «
» Wie das? «
» Ich habe es ihrer Stimme angehört. «
» Du kannst jemandem anhören, ob er verliebt ist? «
» Ich kann es Sams Stimme anhören. Außerdem hat sie gesagt, dass sie zusammenziehen möchten. «
» Ist sie dafür nicht noch ein bisschen jung? «
» Jung und verliebt. Wie auch immer, sie ist inzwischen erwachsen, und außerdem war sie immer reif für ihr Alter. Ein typisches Einzelkind. «
» Das gefällt mir nicht. «
» David « , sagte sie streng und setzte ihren Elterntonfall auf, » du hörst nicht richtig zu. «
9
A m Samstagmorgen stattete ich wie gewöhnlich dem Pflegeheim Tudor Towers einen Besuch ab –
Weitere Kostenlose Bücher