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Der glücklose Therapeut - Roman

Der glücklose Therapeut - Roman

Titel: Der glücklose Therapeut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noam Shpancer
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Luft auflösen. Wie kann man das Verlangen eines Mannes ertasten, seine Angst in ihre Einzelteile zerlegen, seine zerstörte Hoffnung zusammenflicken? Mein Vater stand meinem Entschluss wenig begeistert gegenüber. » Wem geht es durch Reden schon besser? « , sagte er damals. » Zu reden macht einen eher krank. Ha ha. «
    Ich beneidete meinen Vater nie. Insbesondere nicht, als die Alzheimerkrankheit sich allmählich in sein Gehirn zu fressen begann. Doch im Laufe der Jahre, als meine erhabenen Phantasien sich nach und nach in Luft auflösten, begann ich, meinen Bruder Jeffrey zu beneiden, der die Werkstatt von meinem Vater übernommen hatte. Ich beneidete ihn um die Befriedigung, die in seiner Arbeit lag; dass er einen kaputten Motor in seine Werkstatt aufnehmen und Stunden später funktionstüchtig und zufrieden schnurrend wieder hinausschicken konnte. Jeff und ich standen einander nie besonders nahe, vielleicht weil unsere Mutter, die die Verbindung gewesen wäre, starb, als wir noch Kinder waren. Ich erinnere mich überhaupt nicht an sie. Jeffrey wohl, doch er sprach selten über sie. Statt zu reden, zog er es vor, seine Motoren auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen, einen Keilriemen auszutauschen, einen Ölwechsel vorzunehmen. Seelisches Leid war für ihn nicht von Belang. Doch er liebte Sam. Einerseits schalt er mich wegen meiner laschen Erziehungsmethoden, andererseits – ohne ein eigenes Kind, für das er sorgen konnte – verwöhnte und verzärtelte er sie endlos.

11
    M it der Zeit wuchs meine Überzeugung, dass bei Barry Long nichts Gutes herauskommen würde. Er versäumte es regelmäßig, seine Hausaufgaben zu machen. Er nuschelte eine Entschuldigung, starrte zu Boden und versprach, sie in der nächsten Woche ganz sicher zu erledigen. In der Woche darauf entschuldigte er sich wieder und sagte, der Druck bei der Arbeit setze ihm zu, er sei erschöpft und schlafe nicht gut. In der nächsten Sitzung sagte er dann, Mimi sei krank geworden. Er habe sie zum Arzt bringen, im Wartezimmer sitzen und sie durch die Flure schieben müssen, ihm habe einfach die Zeit gefehlt. Das Mal darauf trat er ins Sprechzimmer, klammerte sich an sein Kissen und sagte: » Es gibt keinen Grund. Diese Woche habe ich meine ganze Zeit vergeudet; hab sie einfach vor dem Fernseher vergeudet. Ich weiß nicht, warum. «
    Damals wollte ich ihn loswerden, doch Susan Clarke, die optimistische, beharrliche Sozialarbeiterin von Barrys Versicherung, die beflissen jeden Monat anrief, um sich nach seinen »Fortschritten« zu erkundigen, blieb angesichts meiner Verärgerung ungerührt. Sie erklärte mir, dass Barry Long allein im letzten Jahr fünf Therapeuten verschlissen habe und bei mir nun endlich eine gewisse Stabilität gefunden zu haben scheine.
    » Immerhin taucht er jede Woche pünktlich auf « , sagte sie munter.
    Das tut er tatsächlich, dachte ich, wenn auch nur, um mir mitzuteilen, dass er nichts anderes tat, als durch den Wald zu spazieren und nach dem richtigen Baum Ausschau zu halten, an dem er sich aufhängen konnte, und seine hilflose Freundin zu ihren Terminen zu schieben, die stets dringend waren und für die zerbrechliche Frau eine ernsthafte Bedrohung darstellten; Bedrohungen, die seit ihrem Unfall wie ein Damoklesschwert über ihr hingen. Vor ein paar Jahren war sie durch das Fenster eines Überlandbusses geschleudert worden, nachdem der Fahrer einen Herzanfall erlitten hatte, einfach so, mitten auf der Straße nach Cleveland. Sie brach sich die Wirbelsäule, als sie auf einem Schutthaufen landete, den ein Häftlingstrupp aus dem nahen Gefängnis neben der Straße liegen gelassen hatte, nachdem die Männer dort unter der heißen Sonne gemeinnützige Arbeit verrichtet hatten. Wie durch ein Wunder überlebte sie. Dank eines weiteren Wunders war ihr Jahre später Barry Long begegnet. Es war ein Wunder, sagte er. Doch ich wusste, es war keins. Beschädigte Menschen finden einander mühelos, genau wie Fremde gleicher Nationalität im Ausland inmitten eines fremden Stimmengewirrs ihre Muttersprache heraushören.
    Um die Wahrheit zu sagen, war ich von Barry Longs Loyalität ebenso wenig gerührt wie von Susan Clarkes Begeisterung. Ich ertappte mich zunehmend dabei, dass ich mit bleiernen Schritten ein, zwei Minuten zu spät ins Wartezimmer stapfte, um ihn zu begrüßen. Ich ertappte mich dabei, dass ich jedes Mal nach genau fünfzig Minuten einer Sitzung zum Ende kam, obwohl ich zwischen dieser Sitzung und der nächsten

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