Der glücklose Therapeut - Roman
er wolle in der Gegend bleiben und sich irgendwo niederlassen, vielleicht im Privatsektor Arbeit finden, doch Sam wolle in eine der Großstädte an der Ostküste ziehen. Er kannte ihre Entschlossenheit bereits, und von daher war ihm klar, dass sie lernen würde, sein Motorrad zu fahren, und dass sie an die Ostküste ziehen würden. Er war ruhig und höflich und neigte zu langen Pausen. Wenn er etwas sagte, kamen seine Worte manchmal ins Schleudern wie Autos, die sich auf einer Schnellstraße ein Rennen liefern. Die Wörter endeten dann in einem unbeholfenen Gedrängel, und hin und wieder verlor sich sein Blick für einen Augenblick in der Ferne. Dann legte Sam ihm sanft eine Hand aufs Knie. Wie sich herausstellte, waren sie bereits bei Alex zu Besuch gewesen. Ob Alex allein gewesen war oder nicht, sagten sie nicht, und ich fragte nicht, obwohl ich es gerne erfahren hätte. Mir tat inzwischen alles weh. Es war klar, soweit solche Dinge klar sein können, dass Sam ihn liebte, und dass auch er sie liebte, das war sowohl an ihrem schwärmerischen Verhalten und den sachten Berührungen zu erkennen, als auch daran, wie sie einander in die Augen sahen, als suchten sie in einem üppigen Garten nach verborgenen Winkeln, in denen sie umherwandern und sich verstecken könnten. Als sie gingen, blieb ich ruhelos zurück.
Zunächst schrieb ich mein ungutes Gefühl der Tatsache zu, dass Sam plötzlich erwachsen geworden war und plante, zu heiraten. War sie nicht erst vor kurzem noch hier herumgerannt, hatte im Wohnzimmer Verstecken gespielt und sich hinter ebendiese Couch gekauert? Dann schrieb ich mein Unbehagen dem Glanz ihrer Liebe zu, vor dessen Helligkeit sich meine Einsamkeit abhob wie ein hässlicher Fleck auf einem weißen Teppich. Doch dann machte sich noch ein anderes Gefühl bemerkbar, kälter und beißender. Etwas stimmte nicht ganz mit ihm, ihrem Verlobten; es hatte mit seiner Ausstrahlung zu tun, mit seinem Benehmen, seiner Sprache und seinem Gang. Mit seinem Namen, seinen Augen, seinem Gesicht und seiner Stimme, seinem Rückgrat. Irgendetwas.
25
A ls ich Barry Long im Larsen P. Clark besuchte, erzählte er, dass er demnächst entlassen werde und beabsichtige, sich zu Hause auszuruhen. »Ich habe beschlossen, eine Pause einzulegen«, sagte er, »und bei der Arbeit um eine Beurlaubung zu bitten; ich muss wegen meiner Hand in Rehabilitation; ich kann sie nicht mehr so gut bewegen nach dem, was ich getan habe … und ich will einen Antrag auf Invalidität stellen, denn in meinem Zustand kann ich mich bei der Arbeit nicht konzentrieren. Sie schikanieren mich alle und zerreißen sich ohnehin das Maul über mich, und mein Chef sucht nach einer Ausrede, mich hinauszuwerfen, damit er meine Krankenversicherung nicht bezahlen muss. Aufgrund der Therapie bei Ihnen«, fuhr er fort, »verstehe ich, dass meine Lage ernst ist, sie erfordert meine ganze Aufmerksamkeit. Würden Sie für mich einen Brief an die Versicherungsgesellschaft schreiben? Dass ich nicht mehr arbeitsfähig bin?«, fragte er.
» Wir müssen uns treffen, um all diese Dinge miteinander zu besprechen. «
» Ich rufe Sie an « , sagte er.
» Ich warte darauf « , erwiderte ich. Dann verließ ich sein Zimmer und fuhr mit dem Aufzug ins Untergeschoss.
Ich fand Helprin, der am selben Platz hockte wie immer, in seinem Büro im Untergeschoss. Als ich das Zimmer betrat, war er gerade damit beschäftigt, sich zwischen den Zehen seines rechten Fußes zu kratzen, den er auf den Schreibtisch gestützt hatte. Auf den ersten Blick kam er mir erschreckend klein vor, als wäre er im Laufe der Jahre geschrumpft. Sein nackter Knöchel war blass, haarlos und schmerzhaft verkrümmt. Der alte Professor versuchte hochkonzentriert, ein hölzernes Lineal zwischen seine Zehen zu schieben, doch seine Hand zitterte, und er traf immer wieder daneben und stieß damit gegen seinen großen Zeh.
» Doktor Helprin « , sagte ich.
Er hob den Kopf, blinzelte gegen das Licht und sah mit einem angestrengten, ungeduldigen Blick in meine Richtung.
» Doktor David Winter! Nun, nun. Sind Sie es wirklich? Oder halluziniere ich? Welchem Umstand haben wir nach so vielen Jahren die große Ehre Ihrer Rückkehr zu verdanken? «
» Brauchen Sie Hilfe? « , fragte ich, und ohne eine Antwort abzuwarten, nahm ich ihm das Lineal aus der Hand, schob es zwischen seine Zehen und bewegte es hin und her. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, verschränkte die Hände im Nacken und brummte genüsslich vor
Weitere Kostenlose Bücher