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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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durch die Empfangshalle, rannte hinaus ins Freie, bog zur Sicherheit noch um die nächste Ecke, und dann jauchzte er dermaßen laut, dass eine alte Dame erschrocken zur Seite wich. Sie blickte einem erstaunlich großgewachsenen, jugendlich wirkenden Mann nach, der einen kunterbunten Pullover und ausgewaschene Jeans trug. Sein wirres, harzfarbenes Harr sowie seine Luftsprünge erinnerten sie unangenehm an diese Verrückten auf Rockkonzerten.

8
    In ambrosische Sphären las sich Dimsch in den folgenden Wochen, in einen Rausch, der, wie er allen Ernstes empfand, eine göttergleiche Klarheit in ihm bewirkte. Nie wieder erwachen wollte er aus dieser neuen Welt, dieser erhebenden Dimension. Flitterwochen des Geistes waren es, mit Geliebten sonder Zahl. Seine Herzdamen stapelten sich in den Laden und Regalen des engen Büros, und immer dann, wenn das Telefon läutete, empfand Dimsch, als störe ein Frevler die heilig hohe Stimmung. Wie ein kleiner brennender Schmerz war jede noch so geringe Unterbrechung. Jede leise klingelnde E-Mail eine beinahe unerträgliche, jedenfalls schamlose Belästigung. Für Dimsch existierte in seinem Büro nur noch eine Form der Kommunikation, der er Wert beimaß und die dasRisiko rechtfertigte, sich mit jeder Faser hinzugeben. Unaufdringlich und fürsorglich war diese Kommunikation. Und umhüllt von Stille. Es war die Zwiesprache mit – Dimsch konnte ihren Rang nicht anders nennen – Heiligen; waren sie doch die einzigen, die nichts forderten von ihm, nichts, rein gar nichts nehmen wollten, sondern bedingungslos immer nur geben, geben, geben. In den Zustand der Heiligkeit gelangt waren sie für Dimsch mit der Metamorphose, die sie durchgemacht hatten, vom Menschen zum Buch. Konfuzius, Epikur, Epiktet, Seneca, Schopenhauer, Nietzsche, Goethe, Hesse, Rilke, Kant. Sie und ihresgleichen hatte er um sich versammelt, und bereitwillig gaben sie ihm Auskunft, erteilten ihm gleichnishafte Lektionen, ließen ihn teilhaben an ihrer Weisheit, ihren Überlegungen und Erfahrungen, wie das Leben am besten zu meistern sei und das darin steckende Glück tunlichst nicht zu übersehen.
    Hesse beispielsweise tröstete Dimsch, dass er mit der endlosen Grübelei über sich nicht alleine war; er selbst habe festgestellt, über kein Ding in der Welt weniger zu wissen als über sich. Dimsch vermutete, dass die Expedition ins Ich der Angelpunkt sein müsse beim Heben des Glücks. Schon am Tempel des antiken Delphi schließlich war in Stein gemeißelt:
Erkenne dich selbst.
Das schien zu allen Zeiten die zentrale Botschaft jedes noch so labyrinthischen Orakels. Zeus etwa hatte von je einem Ende der Welt zwei mächtige Adler aufsteigen lassen, sie flogen in entgegengesetzte Richtungen um den Erdball – und beendeten ihre Lebensreise doch am selben Ort, in Delphi. Gleich woher du kommst, schloss Dimsch für sich aus dem Mythos, einerlei, wer du bist, letztlich kann deine Reise nur glücklich enden, wenn du heim findest zu dir.
    Bestätigung erfuhr Dimsch von Epiktet. »Weißt du denn nicht, wozu du da bist?«, fragte ihn der Grieche provokant und bloß rhetorisch, ging er doch gleich unaufgefordert zur Antwort über:
Untersuche einmal, wer du bist. Ein Mensch bist du, das heißt einer, der nichts Höheres hat als seinen freien Willen. Doch prüfst du nicht deinen freien Willen, sondern lässt dich fortreißen, tust wider deinen Willen dies und das
.
    Da glaubte Dimsch erstmals zu verstehen, was mit dem esoterisch anmutenden
Seine-Mitte-Finden
gemeint war. Es ging nicht darum, ein nebuloses Glücksgefühl aufzustöbern, das sich womöglich irgendwo in der Nabelgegend versteckt hielt und durch Meditation herausgelockt und zum sphärisch Leuchten gebracht werden konnte. Vielmehr hieß
seine Mitte finden
schlicht und radikal: auf jene Art zu leben, die einem entspricht.

    Dimsch änderte seine Körperhaltung, bemerkte nicht, dass er beinahe eine Stunde schon ein Haarbüschel um den Finger zwirbelte. In seinem Kopf war die Idee des In-seiner-Mitte-Sein zu einem plastischen Bild geronnen. Er stellte sich die Sache vor wie ein blank poliertes Stehaufmännchen. Das kleine Ding schaukelte hin und her, wurde angestupst, veränderte daraufhin die Richtung, torkelte im Kreis, tat stets jene Bewegung, die ihm als Impuls vorgegeben wurde. So taumeln auch wir Menschen, dachte Dimsch, machen mehr oder weniger freiwillig und oft völlig unbemerkt mit, was uns von außen als wichtig und richtig vorgegeben wird. In Gedanken ließ er das

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