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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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trockene Altersweisheit Theodor Fontanes durchs Netz:
Gegen die Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf.
    Als Rainer Torberg seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, der Kollege zwei Stockwerke tiefer möge sich gefälligst nicht kontraproduktiv verhalten, nahm Dimsch Anleihe beim antiken Dichter Sophokles und ließ sich zu der Antwort hinreißen:
Und hoffen darf man alles.
    Das ist zu viel, hatte Dimsch bereits geahnt, als er im Begriff war, den
Senden
-Button zu drücken, und drückte eine Sekunde danach doch den Button – wie gegen seinen Willen, ja wie zum Beweis, sich absolut niemandem gegenüber beugen zu müssen, nicht einmal seiner eigenen Ahnung. Nur Minuten später bekam Dimsch die Möglichkeit, seine Unbeugsamkeit erneut unter Beweis zu stellen, da ihn Irene Großburg
dringend
(das Adjektiv war mit fünf Rufzeichen versehen) im Vorstandsbüro zu sehen wünschte. Dort sicherte Dimsch seiner Chefin ohne Umschweife zu, jegliche Provokationen forthin zu unterlassen, was er auch lange einhielt, bis auf einen Fall und einen Anlass, der geradezu nach einer philosophischen Antwort schrie, als nämlich per Rund-Mail die Aufforderung des Vorstandes an die Mitarbeiter einging, sich bei Spesenrechnungen doch bitte in Mäßigung zu üben. Da konnte Dimsch nicht anders, als mit einem Zitat Benjamin Franklins zu kontern, wonach ein gutes Beispiel die beste Predigt sei.
    Immerhin verwarf er unter anderem die Idee, auf eine Motivations-E-Mail der Vorstandsvorsitzenden zu antworten, derzufolge die Versicherung künftig, wie Irene Großburg flapsig formulierte, durchstarten werde, um den guten Wind am Markt zu nutzen. Dimsch verbat sich einen Kommentar, dabei hätte das Bonmot des römischen Philosophen Seneca so schön gepasst:
Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind ein günstiger.

    Weitere Draufgaben Dimschs brauchte es zu jener Zeit ohnehin nicht mehr. Seine Anmerkungen zur offiziellen Politik der Versicherung hatten bereits etlichen Kolleginnen und Kollegen stille, heimliche Freude beschert. Ihre per E-Mail eingehenden Zustimmungen zwangen Dimsch, umzudenken. Er war doch nicht der Einzige in der Firma, der sich eigene Gedanken erlaubte. Die anderen hielten sich lediglich bedeckt, hatten sich zum Schutz verschanzt hinter ihren nickenden Fassadengesichtern. Und nun schütteten sie in aller Heimlichkeit ihr Herz bei ihm aus, berichteten von Anmaßungen, Ungerechtigkeiten, baten ihn etwa um Rat, wie sie mit der Doppelzüngigkeit Irene Großburgs umgehen sollten, mit ihrer herzlichen Motivation an dem einen Tag und ihrer aggressiven Bösartigkeit am anderen; wie mit dem Leistungsdruck, der auf ihnen lastete, dem Ausbleiben versprochener Bonuszahlungen und überhaupt dem Mangel an Fairness, der es ihnen immer schwerer mache, die Gewissheit zu unterdrücken, dass ihr Tun in der Versicherung keinen erstrebenswerten, höheren Sinn habe.
    Wo, wurde Dimsch etwa gefragt, sei der Nutzen, wenn der Konkurrenz mit erbittertem Aufwand Marktanteile abgerungen würden, sie im unweigerlich folgenden Gegenschlag wieder verlorengingen und der dadurch nötige, erneute Angriff noch mehr Substanz koste. Dieses ewige Hin und Her abseits jeder leitenden Idee sei doch eine himmelschreiende Verpulverung von Energie. Weshalb nur sei das Gründungsmotiv der Versicherung verlorengegangen, dem zufolge Schutz und Hilfe für die Menschen im Zentrum aller Anstrengungen zu stehen hätten? Schließlich könne die Steigerung von Umsatz und Dividende allein doch nicht der Beweggrund sein, seine ganze Kraft, seine Nerven, sein Herzblut einzusetzen.
    Je mehr E-Mails dieser Art Dimsch bekam, desto mehr verfestigtesich in ihm eine Erkenntnis: All diese Menschen waren auf derselben Suche wie er. Sie hielten Ausschau nach Sinn und Glück, nach ihrem Element. Sie waren wie Fische, die an Land geschwemmt worden waren, und nun ruderten sie und japsten und wunderten sich, weshalb sie sich derart schwertaten.

    Dimsch malträtierte sein Gehirn eben mit dem Kapitel
Welt und Wirklichkeit
aus Wittgensteins
Tractatus,
als leise klingelnd eine E-Mail einging, von einer Kollegin aus der Abteilung Treasury & Risk-Management.
    Geht’s dir auch manchmal so, dass dir die Chefin durch eine unfaire Kritik jede Energie nimmt und du für Tage total am Boden bist?
    Freilich, dachte Dimsch.
    Doch antworten würde nicht er. Dimsch ging in Gedanken sein Personal durch, traf dann die Entscheidung. Antworten würde Epiktet. Und wie es der

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