Der Gluecksmacher
weiten Raum querten, gestikulierten, telefonierten, konferierten und von denen eine fiebrig überreizte Atmosphäre ausstrahlte. Es war ein systemisches Durcheinander, wie im Inneren eines Bienenstocks.
Dimsch zupfte am Ausschnitt seines Pullovers, um besser Luft zu bekommen. Im Raum roch es nach Anstrengung, Produktivität und Leistung. Doch dieser geradezu fühlbare Energieaufwand kontrastierte mit einer sonderbaren Mattigkeit in den Gesichtern. Nur wenn Dimsch aufblickende Kollegen grüßte, formten sich Mundwinkel pflichtbewusst zu einem Gute-Laune-Lächeln; als gelte es, jene erfrischende Motivation unter Beweis zu stellen, die in den internen Leitlinien der Versicherung als gelebtes Motto gepriesen wurde.
Irene Großburgs Büro war angelegt wie eine Kommandozentrale. Es war ein geräumiger Glaskubus inmitten des Großraumbüros – der Leuchtturm, nach dem es galt, sich zu orientieren, die Koordinaten des eigenen Tuns und Unterlassens auszurichten. Die bis in alle Winkeln brandende Kraft, die von hier ausging, ebbte nie ab, hielt eine permanente Spannung aufrecht, flutete übermäßig den weiten Raum, quoll als Gischt aus allen Poren.
Zumeist verwehrten die hinter allen vier Glasfronten angebrachten Jalousien den Blick ins Innere der Macht. Doch jederzeit konnte es geschehen, dass die Lamellen einer oder aller Jalousien ruckartig aufklappten, Schießscharten gleich. Nur eines Knopfdrucks von Irene Großburg bedurfte es.
Schon von weitem sah Dimsch, dass die Lamellen der vorderenGlaswand waagrecht gestellt waren. Als er näher kam, bemerkte er, dass Irene Großburg keineswegs auf ihn wartete. Sie hielt ein Meeting ab. Bei ihr am runden Besprechungstisch saßen Rainer Torberg, PR- und Marketingleiter der Secur AG, sowie Lara Lichtenfels, die Verkaufs-Chefin.
Rainer Torberg war ein Mann wie aus einem Yachtclub-Katalog; auf die Nuance perfekt gebräunt, das schwarze Haar mit Pomade glatt und glänzend nach hinten gekämmt, dunkler Designeranzug, Windsorknoten, Breitling-Taucheruhr. Die maßgefertigten Schuhe genagelt, polternd laut. Von lässiger Offenheit war auch sein Umgang mit der Tatsache, dass er, der ewige Junggeselle, ein Penthouse bewohnte, in dem junge Damen ein und aus gingen in knappen Intervallen, hoher Frequenz. Vor den Eroberungen führte Torberg mitunter seinen Maserati aus, samt jeweiliger Bekanntschaft auf dem Beifahrerinnensitz. Wie gesagt, vor der Eroberung, niemals danach, es wäre Verschwendung von Reifenprofil, wie er gerne scherzend anmerkte. Rainer Torberg war von napoleonischer Selbstsicherheit, und niemand stritt ab, dass er neben Irene Großburg der Motor war, der die Versicherung auf Touren hielt.
Am Besprechungstisch ihm gegenüber saß Lara Lichtenfels. Um die sechzig mochte sie sein, eine noch überaus attraktive Frau. Die Falten und Fältchen in ihrem Gesicht wirkten nicht wie Spuren der Zeit, sondern wie eigens angelegter, feiner Schmuck, stilsicher und geradezu vollkommen komponiert, gleichsam Ersatz für allzu viel Schminke oder Rouge. Ihr weißes Haar war sportlich geschnitten. Eine graue Bluse trug sie, darüber einen schwarzen Pulli mit weitem V-Ausschnitt, Anzughose, italienische Stiefel dazu. Der Brillantring, der am Ringfinger ihrer linken Hand facettenreich das Licht spiegelte, wirkte trotz seiner Größe nicht protzig, sondern wie eine geradezu notwendige Ergänzung ihrer schlichten, elegantenArt. Verkaufs-Chefin war sie bereits unter Irene Großburgs Vater geworden; der hatte die Versicherung zuvor geführt – und zwar wie ein Kriegsschiff, befanden jene, die noch unter ihm
gedient
hatten. Sie waren es auch, die jenes Gerücht am Leben hielten, wonach Lara Lichtenfels einst mit dem Chef auffallend eng verkehrt hatte. Und dass sie ihm, als er sich in den Aufsichtsrat zurückgezogen und das Steuer seiner Tochter übergeben hatte, in einem zärtlichen Moment versprochen habe, auf Irene Acht zu geben, ihr beizustehen, doch möglichst dezent, so dass es bei der Belegschaft nicht etwa hieße, die Tochter des alten Großburg schaffe es nicht allein.
Dimsch klopfte an die Glastür. Lara Lichtenfels sah kurz auf, Rainer Torberg tat nicht einmal das. Großburg machte, während sie weitersprach, eine lässige Bewegung, sparsam nur, aus dem Handgelenk heraus.
Dimsch trat ein, nahm Platz. Legte die Mappe mit der Kundenbefragung
Wunsch versus Wirklichkeit
vor sich auf den Tisch.
»Sebastian«, begann Großburg mit irgendwie kratziger Stimme, hielt dann im Aufblicken
Weitere Kostenlose Bücher