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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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kegelrunde Stehaufmännchen abermals zur Seite schwanken, stieß es diesmal so heftig, dass das Köpfchen, mit dem Gesicht voran, gegen den Boden knallte. Nach und nach erst fand es wieder seine Balance, seine Ruhe, jenen Zustand, der ihm entsprach. Aber, spann Dimsch seine Vorstellung weiter und blickte dem Männchen tief in seine schwarzen, stecknadelkopfgroßen Augen, ohne das Hin und Her, ohne diesenKontrast zur Mitte, könntest du die Richtigkeit und das gute Gefühl deiner Mitte doch gar nicht erfahren. Somit hat auch das Nicht-bei-sich-Sein, das Nicht-Mittig-Sein seinen Sinn, als Vorspiel sozusagen, als Reifeprozess. Der Strichmund des Männchens bog sich zu einem zustimmenden Lächeln. Eigentlich bin ich ein Philosoph, dachte da Sebastian Dimsch, geriet damit freilich unbemerkt ein wenig von seiner Mitte ab, hin zu einem bloßen Bild von sich, von dem er wünschte, andere mögen ihn so sehen.
    Da schlug etwas Festes an die Bürotür. Dimsch fühlte, dass sein Herzschlag schockartig aussetzte – und erst wieder weiterpochte, als er das runde Gesicht und das Grinsen von Peng erkannte, dem Hausboten der Versicherung.
    Peng klopfte nie an, er polterte an, mit seinem Körper, den er samt Poststapel im Arm gegen die Tür krachen ließ. Gleichzeitig drückte er die Klinke nach unten und fiel so mit der Tür ins Zimmer. Peng kam aus Nordkorea. Und obwohl er seit fast drei Jahrzehnten in der Versicherung arbeitete, war noch nie und bei keinem Mitarbeiter der Eindruck entstanden, Peng habe sich mit der Landessprache befasst. Das einzige Wort, das Peng perfekt beherrschte, war
Hallo
. Er gebrauchte es ausgiebig.
    »Hallo, Dogdor!« Peng grinste, fingerte drei, vier Kuverts vom Stapel.
    Dimsch hatte keinen Doktortitel, ebenso wenig wie die meisten anderen in der Versicherung. Was Peng nicht kümmerte, er begrüßte ausnahmslos alle so. Es war wohl seine Art, Respekt, Höflichkeit und ein kleines, versteckt ironisches Späßchen in ein einziges Wort zu verpacken.
    »Hallo, Professor Peng!« Dimsch verbeugte sich.
    »Hallo.« Peng kicherte, warf vor Vergnügen den Kopf in den Nacken.
    Dimsch legte die Hand auf die Kuverts. »Vielen Dank, Herr Professor.«
    Pengs Kichern steuerte einem Höhepunkt zu.
    »Einen schönen Tag noch, Herr Professor Peng!«
    Peng schüttelte sich vor Heiterkeit, schloss die Tür hinter sich.
    Dimsch konnte nicht gerade behaupten, dass das Scherzchen mit dem Ehrentitel für Peng neu war, immer wieder einmal begrüßte er den Hausboten auf diese Weise. Pengs Dankbarkeit war herzliche, pure Freude, die nicht zu verblassen schien, die täglich frisch wirkte, unverbraucht.
    Womöglich ist Peng der einzige glückliche Mensch in diesem riesigen Kasten, überlegte Dimsch, klatschte sich dann in Vorfreude aufs Weiterlesen auf die Oberschenkel. Mittlerweile waren immerhin schon zwei glücklich in der Firma.

9
    Es war gegen jede herkömmliche Logik und erschien Dimsch wie großartige Zauberei: Je weniger er arbeitete, desto zuvorkommender wurde er behandelt. Seit er es gänzlich unterließ, sich in der Versicherung einzubringen, Vorschläge zu machen, Projekte zu erfinden, Ideen zu entwickeln, begegnete man ihm respektvoller denn je. Und keineswegs rührte das daher, dass die Kollegen bloß erleichtert waren, dass Dimsch ihnen nicht in die Quere kam. Nein, irgendwie nötigte ihnen seine neue Art einen ungekannten Respekt ab, schuf sein Verhalten eine geheimnisvolle Aura um ihn, ein Gefühl voll von Möglichkeiten.
    Die Menschen in der Versicherung waren konfrontiert mit einem Mann, der nicht nur von einem Tag auf den anderenstatt Anzüge abgenutzte Jeans trug, sondern der generell wie ausgewechselt schien. Früher hatte Dimsch jeden neuen Aufgabenbereich geschmeichelt angenommen, hatte – wie alle anderen auch – um Ansehen und Kompetenzen gerungen, war oft übermüdet, ab und zu überfordert gewesen, hatte seine Schwächen mit mühevollem Engagement zu kompensieren versucht. Nun aber: nichts mehr von all dem. Nun stießen sie bei ihm auf zuversichtliche Heiterkeit, die einherging mit teils an Frechheit grenzender Knappheit. Sie konnten nicht anders, interpretierten Dimschs gewandeltes Auftreten als neue Souveränität. Deren Quelle blieb ihnen unergründlich. Und so weit der Raum für allerlei Spekulationen dadurch auch war – bald zielten die Vermutungen allesamt in ein und dieselbe Richtung: Dimsch musste, bisher inoffiziell, irgendein wichtiges Aufgabengebiet übertragen worden sein. Niemand wusste,

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