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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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    Der wolkenlose blaue Himmel Ägyptens spiegelte sich in dem geschmolzenen Gold, das glatt und geschmeidig aus dem Tiegel floss. Ranofer umschloss die beiden Steine, zwischen denen er den Tiegel hielt, fester mit den Händen und kippte ihn langsam nach unten; jede Bewegung seiner Hände, Arme und nackten braunen Schultern war voller Hingabe. Nun lief der letzte Tropfen der rot glühenden Schmelze ohne Spritzer und Blasen in den gehöhlten Stein.
    Mit einem zufriedenen Seufzer legte der Junge Steine und Tiegel beiseite und wischte sich an seinem Baumwollschurz den Schweiß von den Händen. Es war ein schöner Barren; der Goldschmied würde keinen Makel an ihm finden. Das Gold wurde schon hart; der orange leuchtende Barren färbte sich erst dunkelrot, dann hellrot. Gleich könnte er ihn aus der Form nehmen und den Stein für den nächsten Guss ölen.
    Ranofer sah verträumt zu, wie das Leuchten aus der Farbe schwand. Wunderschöne Bilder zogen vor seinem inneren Auge vorüber, goldene Formen und Gebilde, die aus diesem kleinen Barren geschaffen werden konnten, den er, Ranofer, Sohn des Thutra, gegossen hatte. Vielleicht wurde daraus ein Teil eines breiten, glänzenden Pektorals oder der Schmuckgriff eines prächtigen Dolches, der einem Edelmann als Grabbeigabe diente, oder, besser noch, ein Kelch für den Pharao, ein Kelch aus hauchdünn getriebenem Gold, geformt wie eine Blüte. Nun, vielleicht nicht gerade ein Kelch, sagte sich Ranofer nach kurzer Überlegung. Schließlich war es nur ein kleiner Barren, und außerdem könnte ein Kelch, wie er ihn sich vorstellte, niemals in dieser Werkstatt entstehen. Hier besaß niemand so viel Kunstfertigkeit und Können, nicht einmal Rekh, der Meister selbst. Nur Djau konnte solch einen Kelch formen, denn er war ein Künstler. Djau war der beste Goldschmied in ganz Theben, Djau konnte alles. Unter seinen geschickten Händen entstanden Kelche, Schalen, Schatullen, Halsketten, Armreifen, Brustschmuck, Dolche und Amulette von solcher Schönheit, dass der Pharao keinen anderen Goldschmied beschäftigte als Djau. Wenn Vater noch leben würde, wäre ich Djaus Schüler geworden, dachte Ranofer. Fast hätte es geklappt. Ach, wenn doch nur Vater nicht gestorben wäre! Wenn ich nicht bei Gebu leben müsste! Wenn ich doch den Namen Gebu niemals gehört hätte!
    Gebus verhasstes Gesicht erschien Ranofer aus den Tiefen seiner Gedanken, zerstörte seine Tagträume und brachte ihn zurück in die Wirklichkeit der Werkstatt, wo kein Platz mehr war für Djau, den Meister. Ranofer hörte wieder die Stimmen der Männer und das Klirren der Werkzeuge im Hof, er nahm den scharfen Geruch des Metalls wahr, der sich mit der milden Nachmittagsbrise vermischte, die vom Nil her wehte. Es war der Monat Hathor in der Jahreszeit des Wachstums, „des Auftauchens der Felder aus dem Wasser“. Die Luft war kühl trotz der Hitze, die die Schmelzöfen im Hof verströmten, auch die Sonne brannte zu dieser angenehmen Winterzeit noch nicht mit sengender Glut. Ra goss sein strahlendes Licht wohltuend auf die braunen Rücken der Männer, die sich über ihre Arbeit beugten, und ließ ihre kohlschwarzen Haare und die blütenweißen Schendjtiu bläulich schimmern; überall auf den niedrigen Werkbänken funkelten Goldbarren, Rollen von Golddrähten, Goldstückchen und Goldspäne in strahlendem Glanz. Aber all das konnte Ranofer nicht trösten. Sein Herz war schwer. Wie so oft sehnte er sich nach früheren Zeiten, als er sich an der warmen Sonne und einer Arbeit, die er liebte, noch freuen konnte, nach einer Zeit, als Thutra, sein Vater, und Djau, der Meister, noch Teil seines Lebens waren und er mit seinem Halbbruder Gebu, dem Steinmetz, nichts zu tun hatte. Verdirb dir doch nicht den Tag! Denk doch nicht an Gebu!, schalt er sich. Zu Hause siehst du ihn oft genug und spürst seine harte Hand. Der Barren ist jetzt ausgehärtet, und du stehst nur untätig rum! Er kippte den Barren aus der Form und versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, doch der Gedanke an Gebu war so hartnäckig wie ein Eiterzahn. Und außerdem war er hier sowieso nur Gehilfe; im Gegensatz zum dümmsten Lehrjungen könnte er niemals eine Stufe höher steigen, egal, wie gut er seine Arbeit verrichtete. Für seine Barren konnte er sich die glanzvollste Zukunft vorstellen, seine eigene Zukunft aber würde darin bestehen, Barren zu gießen, Holzkohle zu machen und die Werkbänke der Goldschmiede zu fegen; die Dolche würden andere

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