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Der Jüngstre Tag

Der Jüngstre Tag

Titel: Der Jüngstre Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Green
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1
    »Wohin fahren wir?« Der kleine Lee war zu seinem Großonkel Mark Chatfield aufs Deck zum Ruder der Archangel geklettert. Die Gischt spritzte ihnen ins Gesicht, und Mark konzentrierte sich darauf, das Schiff bei dem hohen Wellengang auf Kurs zu halten.
    Der arme Junge, dachte Mark. Er war in aller Eile auf die Jacht gebracht worden und hatte das einzige Zuhause verloren, das er je gekannt hatte, ohne dass ihm jemand hätte erklären können, was vor sich ging.
    »Wir segeln um die halbe Welt«, sagte Mark. »Nach Neuseeland. Wo mein Sohn Steven und ich herkommen.«
    »Sind in Neuseeland auch alle an der Pandemie gestorben?«, fragte der Fünfjährige mit gerunzelter Stirn. »Wie in England?«
    »Ja, ich fürchte, diese Krankheit hat sich in der ganzen Welt ausgebreitet und scheint bis auf die Mitglieder unserer Familie alle Menschen getötet zu haben. Steven und ich sind den weiten Weg nach England gereist, um herauszufinden, ob aus der Chatfield-Familie noch jemand überlebt hat. Und tatsächlich warst du da und deine Mama und deine Urgroßtante Margaret und alle unsere anderen Verwandten. Alle zusammen in Haver House.«
    »Und in Neuseeland wohnen noch mehr Verwandte von uns?«, fragte Lee.
    »Ja, mein Bruder Christopher und seine beiden Töchter Sarah und Katie und ihre Kinder. Und dann noch meine Tochter Jane – Stevens Schwester – und ihre drei Kinder. Sie warten alle auf unsere Rückkehr. Du wirst unter deinen Cousins viele neue Freunde finden.«
    »Werden wir auch geschlagen und müssen die ganze Zeit arbeiten wie in Haver?«, flüsterte Lee ängstlich.
    »Nein, nein, natürlich nicht«, versicherte Mark ihm. »Es fahren so viele deiner Verwandten mit uns nach Neuseeland, weil sie Nigel und seinen Söhnen und seinen tyrannischen Gesetzen entkommen wollen. In unserer Gemeinschaft in Gulf Harbour geht es ganz anders zu. Wir sind auch nicht so viele wie in England, aber wir bilden gemeinsam eine große Familie. Du wirst dort glücklich sein, Lee. Du wirst sehen.« Mark konnte dem Jungen ja nicht erklären, dass er unbedingt männliche Verwandte mit zurückbringen wollte, weil ihre Gruppe in Neuseeland vorwiegend aus Frauen bestand und der Weiterbestand der Familie gewährleistet werden musste.
    Lee sah noch immer beunruhigt aus. »Was geschieht mit den Menschen, die in Haver geblieben sind?«, fragte er und starrte zum leeren Horizont.
    »Es wird ihnen nichts zustoßen. Mach dir keine Sorgen. Vor dir liegt ein neues Leben mit Steven, der jetzt dein Vater ist, mit neuen Verwandten, die auf dich warten, und einem wunderschönen neuen Land.«
    »Wird Nigel sie denn nicht unseretwegen bestrafen?« Offenbar ließen sich Lees Sorgen nicht so schnell zerstreuen.
    »Nun, Nigel wird wütend und außer sich sein, dass Miles bei unserer Flucht getötet wurde. Aber vielleicht begreifen Nigel und seine anderen Söhne nun, dass sie ihre Verwandten nicht weiterhin so schlecht behandeln dürfen. Ich habe Nigel eine Nachricht hinterlassen, mit der ich ihm ankündige, dass wir eines Tages zurückkehren, um uns zu überzeugen, dass er sich anständig benimmt. Wir können nur hoffen, dass er das auch tut.«

2
    Durch den Torbogen unter dem Cromwell Tower im Innenhof von Haver House sah Nigel Chatfield seine Verwandten ringsum das frisch ausgehobene Grab seiner Tante versammelt und Kirchenlieder singen. Er war unglaublich wütend. Die Hinrichtung von Tante Margaret hätte den Rest der Gemeinschaft wieder auf Kurs bringen sollen, nachdem Mark und seine Anhänger geflohen waren. Doch seine Untertanen hatten nicht nur zwei seiner Erlasse nicht befolgt – die Religion aus ihrem Leben zu verbannen und nicht über den Rasen auf dem Lawn Court zu laufen –, sie hatten das Grab auch noch mitten auf seinem wertvollen Bowlingrasen ausgehoben. Und Mark hatte ihm diese unverschämte Mitteilung hinterlassen, um ihn zu warnen, dass er eines Tages zurückkehren und ihn für sein diktatorisches Regime zur Rechenschaft ziehen werde.
    Nigel hasste diese Verwandten, doch die Chatfield-Sippe schien die Einzige zu sein, die die Pandemie überlebt hatte, die den gesamten Erdball vor dreieinhalb Jahren heimgesucht hatte. Darum blieb ihm keine andere Wahl, als das Beste daraus zu machen. Solange sie Angst vor ihm hatten, waren sie brauchbare Diener.
    Die fünfzehn Erwachsenen und zwölf Kinder, die sich um das Grab versammelt hatten, waren in ihre Trauer versunken. Ihre Gesichter waren angespannt und bleich. Die meisten Frauen und Kinder weinten.

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