Der goldene Schwarm - Roman
als wohlinformierte Diskussion über andere Großkriminelle der Geschichte, insbesondere über Joes Tresor knackenden, Züge überfallenden, Kunst raubenden Vater, den Dandy der schwedischen Gardinen, Mathew »Tommy Gun« Spork. Dieser Klatsch erfüllt Joe mit weit größerem Entsetzen als die Abwassertunnel. Unter normalen Umständen erschreckt ihn der Gedanke, dass es sich bei ihm um das handelt, was in gewissen Kriminalromanen gern als habitué de demi-monde bezeichnet wird, womit gemeint ist, dass er Spieler und Ganoven kennt sowie die Männer und Frauen, die diese lieben. Im Moment ist er bereit anzuerkennen, dass er immer noch am Rande der demi-monde lebt, allerdings nur unter der Bedingung, nicht darüber reden zu müssen. Er schüttelt den Gedanken ab und eilt über die Eisenbahnbrücke.
Zwischen der Clighton Street und Blackfriars verläuft eine Sackgasse, die eigentlich gar keine ist. An ihrem Endpunkt finden sich eine schmale Lücke und ein Trampelpfad Richtung Bahn, und steht man vor den Gleisen, führt zur Linken eine Tür in die Unterwelt. Wie das weiße Kaninchen schlüpft Joseph Spork durch diese kleine Tür und nimmt eine Wendeltreppe hinab in die niedrigen roten Backsteintunnel des Tosher-Reviers. Der Korridor ist vollkommen finster, also kramt er in seiner Tasche nach seinem Schlüsselbund, an dem eine kleine Sammlung von Schlüsseln und Passkarten baumelt, sowie eine Taschenlampe von der Größe einer Füllerkappe.
Das blauweiße Licht zeigt ihm schmutzbedeckte Wände, gelegentlich verziert mit persönlichen Unsterblichkeitsbekundungen: Dave liebt Lisa – und das wird er auch immer, zumindest hier unten. Joe spendet flüsternd seinen Segen und geht vorüber, wobei er vorsichtig einige Schleimhaufen umrundet. Noch eine weitere Tür, und für das, was nun kommt, legt er sich ein Taschentuch vor den Mund und schmiert sich etwas Salbe unter seine Nase (»Addams traditioneller Wärmebalsam!« – Wer weiß, warum so ein Balsam aufregend genug ist, um sich dieses Ausrufezeichen zu verdienen, aber das ist Mr Addams Angelegenheit). Diese Tür erfordert einen Schlüssel. Die Tosher haben ein einfaches Schloss angebracht, nicht um ernsthaft den Zutritt zu verwehren, sondern um höflich an das Prinzip des Hausfriedens zu erinnern. Es ist ihnen durchaus recht, dass der Weg genutzt wird, aber sie möchten, dass man weiß, dass dies durch ihre Gnade ermöglicht wird. Das Revier der Tosher bildet ein Netzwerk, aber man kann nicht einfach gehen, wohin man will. Man ist auf Erlaubnis und Kulanz angewiesen und in manchen Fällen auf einen Mitgliedsbeitrag. Joes Schlüsselbund ermöglicht ihm den Weg durch vielleicht zwanzig Prozent der sicheren Tunnel. Die übrigen werden aggressiv von verschiedenen Gruppierungen mit einem starken Bedürfnis nach Privatsphäre verteidigt – einschließlich der Tosher selbst, die das Herz ihres eigentümlichen Königreichs mit höflichen, aber effektiven Wachposten sichern.
Zehn Minuten später trifft er einige von ihnen, die tief gebeugt und in ihren gummierten Schutzanzügen den Schlamm durchkämmen.
Damals – als London noch mit Armenhäusern wie mit Pockenblasen übersät und in einen grünen Smog getaucht war, an dem man in einer unguten Nacht durchaus ersticken konnte – waren die Tosher die Ausgestoßenen und Prinziplosen, die das abscheuliche Gemenge durchwühlten und Münzen und Schmuckstücke bargen, die zufällig verloren worden waren. Selbst heute noch ist es erstaunlich, was man dort findet: Großmutters Diamanten, die in ihrer Schatulle zu Boden gefallen sind, während man Tante Brenda für die Diebin gehalten hat; Ringe aller Art, die in einem Moment der Erregung fortgeschleudert wurden oder an einem kalten Tag von frierenden Fingern gerutscht sind; Geld natürlich; Goldzähne und einmal, wie Queen Tosh dem kleinen Joe einst auf einer von Mathews Partys erzählt hat, ein Bündel Schuldverschreibungen im Gesamtwert von beinahe zehn Millionen Pfund.
Heutzutage tragen Tosher eine Ausrüstung, die für Tiefseetaucher entworfen wurde – der Dreck selbst ist schon grässlich genug, noch schlimmer aber sind Spritzen und andere Scheußlichkeiten, ganz zu schweigen von den Chemikalien, die die männlichen Fische dieser Welt zu Weibchen machen und sämtliche Kröten das Leben kosten. Sauer eingelegt in den Konservierungsmitteln aus Supermarktabwässern, bleibt heute auch die durchschnittliche Leiche vierzehn Tage länger frisch als früher. Die Arbeiter wirken wie
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