Der goldene Thron
Sicherheit, was man beileibe nicht von jederHerberge sagen kann. Mehr als einmal hörte ich schon, dass edle Tiere abhandenkamen, während ihre Herren schliefen oder im Dom beteten.« Er nickte freundlich. »Ich bin aus Brabant und mache häufig Geschäfte in Köln, müsst Ihr wissen. Die Ställe in der Domstadt sind schmutzig und unbezahlbar, genau wie viele Gasthöfe. Aber es gibt auch ordentliche Häuser, wenn man sie kennt!« Er strahlte sie an. »Wollt Ihr in Köln vernünftig unterkommen, so empfehle ich Euch den ›Heiligen Melchior‹ oder, falls dort nichts mehr vakant ist, den ›Mohren‹. Woanders legt Euer Haupt lieber nicht nieder.«
Jacques dankte ihm für seinen Rat und lud ihn auf ein Bier ein, auch wenn er nicht aussah, als wäre er auf Gönner angewiesen. Zum Dank erzählte der junge Brabanter noch eine Menge mehr über die Domstadt.
»Auf Eure Börsen solltet Ihr ganz besonders gut achtgeben. Diebesbanden streunen durch die Stadt. Sie halten Ausschau nach reichen Pilgern und haben ein Näschen dafür, wo sich das Stehlen lohnt. Einer von ihnen rempelt Euch an und redet wie ein Wasserfall, während ein zweiter Euch den Beutel vom Gürtel schneidet.« Er nahm einen kräftigen Schluck Bier und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Auch vor den käuflichen Mädchen seid gewarnt. Die meisten von ihnen nehmen ihre Kundschaft gnadenlos aus. Und wenn Ihr spielt, hohe Herren, so lasst Euch gesagt sein, dass die Würfel der meisten Spieler gezinkt sind. Schon so mancher wohlhabende Pilger musste vor seiner Heimkehr zum Juden gehen und sich verschulden, um Mittel für die Rückreise zu haben.« Der junge Kaufmann hob seinen Becher und leerte ihn in einem Zug. »Brrrr!« Er schüttelte sich lachend. »Grausiges Gesöff!«
Bei Sonnenaufgang des nächsten Tages waren sie reisefertig. Aufbruchstimmung erfüllte den Schankraum, als sie hinuntergingen. Ein jeder, der hier haltmachte, wollte nach Köln, ob nun als Pilger zu Fuß oder wie der Kaufmann mit dem Wagen. Jacques und Guillaume hatten vor, sich wie die meisten wohlhabenderenWallfahrer auch unter die gewöhnlichen Pilger zu mischen, von denen sie nur durch die besseren Stoffe ihrer Kleidung und den aufrechteren Gang zu unterscheiden waren.
Ihre Knappen ließen sie mit den Pferden, Rüstungen und Waffen in der Herberge zurück.
Knöcheltief stand der Morast auf der Straße nach Köln, denn seit dem Abend schon regnete es ohne Unterlass. Das Nass troff stetig über die Krempen ihrer Pilgerhüte, perlte zunächst noch von ihren wollenen Umhängen ab, durchweichte den Stoff auf ihren Schultern jedoch noch vor dem Mittag. Vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Nacht auf einem Pferd zu sitzen, war eines, zu laufen aber etwas ganz anderes. Spitze Steine drückten sich durch die vom Regen aufgeweichten Sohlen ihrer Stiefel, und das feuchte Leder rieb ihre Füße wund.
Erst zum Nachmittag hin wichen die schweren Regentropfen des Vormittags leichteren, feineren Tröpfchen und ließen schließlich sogar ein paar Sonnenstrahlen durch die dicke, schiefergraue Wolkendecke dringen, die den Dom schon von Weitem in geradezu göttlich scheinendes Licht tauchten und die Pilger sprachlos machten.
Da man die Wallfahrer an ihrer Kleidung erkannte, ließ man sie ohne Nachfragen ein. »Dom!«, rief eine der Wachen am Stadttor gelangweilt und deutete auf eine Gasse rechter Hand, durch die sich Unmengen von Menschen drängten.
»Zum ›Heiligen Melchior‹?«, erkundigte sich Jacques, bemüht, die fremd klingenden Worte so auszusprechen, wie es ihn der junge Kaufmann aus Brabant gelehrt hatte. »Meine Füße bringen mich um!«, raunte er Guillaume zu. »Lass uns zunächst eine Unterkunft suchen!«
»Ich will erst zum Dom!«, beharrte Guillaume, doch Jacques hörte ihm nicht zu. Er versuchte, die Torwache zu verstehen, die monoton und ausführlich antwortete. Doch offenbar verstand er kein Wort. Als er sich hilflos umsah, kam ein verwahrlost aussehender Junge mit filzigen schwarzen Haaren und vor Dreck starrenden, viel zu großen Kleidern auf sie zu. Er streckte ihnendie Hand wie ein Bettler entgegen und erklärte in gebrochenem Französisch:
»›Heilige Melchior‹ und ›Mohr‹ geht links, dann rechts und noch rechts, ganzes Stück von hier. ›Balthasar‹ und ›Stern‹ sind Nähe, gleich hier.« Er zeigte nach rechts. »Am Dom mehr Herbergen, auch welche wenig kosten und nichts gut für edle Männer, Herr«, erklärte er mit einem verschmitzten
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