Der goldene Thron
besonderer König werde, hatte ihn getragen. Nun aber, da nur wenige verleumderische Worte genügt hatten, um seinen Herrn vergessen zu lassen, wie treu er ihm stets gewesen war, erfüllten Guillaume eine nie gekannte Leere und Enttäuschung.
Niemals hatte er je an sich und seinem Ziel gezweifelt, sein Tun nie zuvor infrage gestellt oder darüber nachgegrübelt, ob der Sinn seines Lebens ein anderer hätte sein können. Nun aber quälten ihn all diese Fragen. Wer war er, jetzt, da er nicht mehr der Lehrmeister des jungen Königs war? Ein Niemand? Ein Versager? Ein Verräter gar, ohne es zu wollen?
Eine Ehe, wie man sie ihm offeriert hatte, wäre gewiss ein Ausweg gewesen, hätte sie ihn doch mit einem kleinen Gut und einer Rente versorgt. Ein ruhiges, wenig bedeutsames Leben hätte er führen können, so wie es Ellen und sein Sohn taten. Warum aber hatte er dann auf sie verzichtet? Er war seinem Ziel so nah gewesen! Doch nichts in seinem ganzen Leben hatte er je zu einem glücklichen Ende gebracht. Erst hatte er den Kammerherrnenttäuscht und nun den jungen König. Nicht einmal einen gesunden Sohn hatte er gezeugt!
Sollte er sich darum künftig mit Mittelmaß zufriedengeben, oder sollte er aufstehen und kämpfen?
Wofür aber lohnte es sich zu kämpfen? Was war seine Bestimmung? Je länger Guillaume grübelte, desto weniger fand er eine Antwort. Auch im Wein suchte er sie vergebens, ganz gleich, wie viel er davon trank.
»Mylord, es ist Zeit«, unterbrach Eustache seine trüben Gedanken, deutete auf Guillaumes Gambeson und sein Kettenhemd und lächelte aufmunternd.
Doch statt seine Rüstung überzustreifen und nach den Waffen zu greifen, die ihm für gewöhnlich Kraft und Halt gaben, blieb Guillaume auf seinem Lager liegen. Vergessen brachte der Wein nur, solange er die Sinne benebelte, aber sobald der Kopf wieder klar war, waren alle Fragen so quälend wie zuvor.
»Was ist los mit dir?« Jacques d’Avesnes stürmte in Guillaumes Zelt und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Warum bist du nicht fertig? Die Männer des Grafen warten auf dich.«
Guillaume schüttelte den Kopf und drehte ihn fort. »Lass mich in Frieden!«
»Was soll das heißen?«
»Ich werde nicht kämpfen. Ich bin müde!«
»Müde!«, lachte Jacques d’Avesnes auf. »Von Sinnen wohl eher!«, knurrte er und stürmte hinaus.
Guillaume legte den Arm über die geschlossenen Augen und atmete tief ein. In Caen hatte er alles gewagt und doch verloren. Nun war er müde; er war es leid, auf Turnieren zu kämpfen. Die Frau, die er noch immer über alles liebte, war längst mit einem anderen verheiratet, weil sie auf ihn nicht hatte zählen können. Sein Sohn war ihm fremd, und sein Herr hatte ihn davongejagt wie einen räudigen Hund.
Schweißgebadet wachte Guillaume mitten in der Nacht auf. Das Turnier musste längst vorüber sein. Kein Laut drang mehr ausdem Lager; auch die Sieger schienen zu schlafen. Guillaume ließ sich zurück auf die Kissen fallen.
Er hatte vom Sohn Gottes geträumt, nicht von dem Mann, der am Kreuz für die Menschen gestorben war, sondern von dem Säugling, den Herodes hatte verfolgen lassen. Einen verdrehten Fuß wie William hatte der kleine Jesus in seinem Traum gehabt, bis die Heiligen Drei Könige gekommen waren und mit ihren Geschenken Heilung und Hoffnung gebracht hatten. Er schloss die Augen und versuchte, erneut einzuschlafen. Wieder erschienen ihm die Heiligen Drei Könige, und als Guillaume am Morgen erwachte, glaubte er zu verstehen, was der Traum bedeutete.
»Eustache, steh auf und pack unsere Sachen, wir reisen ab!«, weckte er seinen Knappen und rüttelte ihn wach. Ohne Fragen zu stellen, gehorchte Eustache, schlug das Zelt ab und verstaute es mit den Waffen und Guillaumes Rüstung auf ihrem Packpferd.
»Wo gehst du hin?«, fragte Jacques d’Avesnes, als Guillaume aufbrechen wollte.
Guillaume zog den Sattelgurt fest und sah ihn ernst an. »Nach Köln, ich gehe nach Köln.«
»Warum Köln?«, wunderte sich Jacques.
»Im dortigen Dom werden die Gebeine der Heiligen Drei Könige aufbewahrt. Viele Wunder sind dort geschehen«, sagte er zuversichtlich. Sein Traum hatte es ganz deutlich gezeigt: Die Heiligen Drei Könige hatten den krummen Fuß des Kindes geheilt! Sicher würden sie auch William gesund machen, wenn er seine Sünden gestand und bereute und sie um ihre Hilfe anflehte.
Jacques dachte einen Augenblick nach, dann sagte er: »Nun, ein Wunder könnte auch mir für mein Seelenheil nicht
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