Der goldene Thron
hob den Kopf, sah sie vorwurfsvoll an und miaute erbärmlich.
»Der Steward …«, hörte Isabelle eine schnarrende Stimme und erschrak. »Er hat sie weggeholt!«
»Wer ist da?«, rief Isabelle und horchte. Nur ein leises Rascheln, wie von einer Maus im Stroh, und die Geräusche der Burg, die dumpf von draußen hereindrangen, waren zu hören. Manchmal schlichen sich Räuber in die Ställe von Kilkenny, um Federvieh oder Eier zu stehlen. Einmal waren zwei Männer erwischt worden. Die normannischen Soldaten hatten ihnen zur Strafe jeweils die rechte Hand abgehackt. Halb Kilkenny hatte dabei zugesehen. Isabelles Herz begann, wild zu pochen.
»Ich!«, antwortete die schnarrende Stimme. Es dauerte eine Weile, dann kam ein schmutzig verkrusteter Fuß zum Vorschein, und einen Augenblick später kroch ein magerer Alter umständlich aus seinem Strohversteck. Sein fast weißes Haupthaar war ebenso verfilzt wie der Bart, der den unteren Teil seines faltigen Gesichts bedeckte. Sein ausgezehrter Körper, der in löchrigen Lumpen steckte, sah zum Fürchten aus, doch seine graublauen Augen leuchteten so freundlich, dass Isabelle Mut fasste.
»Wer bist du?« Dann dachte sie an die Ermahnungen ihrer Mutter, sich stets wie eine Prinzessin zu benehmen, zog die Brauen zusammen und fügte ein wenig strenger hinzu: »Und was tust du hier?«
»Darragh!« Der Alte lachte leise. »Ich bin Darragh!« Ohne auf den zweiten Teil ihrer Frage einzugehen, fischte er einen Strohhalm aus seinen Kleidern.
Der verrückte Darragh! Ein Schauer lief Isabelle über den Rücken. Er wohnte, nicht weit vom Ort entfernt, in einer winzigen Kate im Wald. Üble Gerüchte rankten sich um ihn, wüsteGeschichten von verschwundenen Kindern … Im Dorf machte man einen Bogen um ihn, und zuweilen drohten die Mütter ihren Sprösslingen, der verrückte Darragh würde kommen und sie fortholen, wenn sie nicht artig seien. Isabelle atmete tief ein. Sicher war es besser, keine Furcht zu zeigen.
Als er jedoch auf allen vieren auf sie zukroch, wich sie unwillkürlich zurück. Er legte sich neben Mim ins Stroh und tastete versunken ihren Bauch ab. Isabelle wollte ihm Einhalt gebieten, um die arme Katze zu beschützen, doch ihre Arme waren schwer wie Blei, wollten einfach nicht gehorchen. Sie hingen nur schlaff an ihr herab, als gehörten sie nicht zu ihr.
Erstaunlicherweise begann die scheue Mim – die sich für gewöhnlich nur von Isabelle und Conall streicheln ließ – unter den Berührungen des Verrückten laut zu schnurren. Sie schien sich kein bisschen vor ihm zu fürchten! Isabelle legte den Kopf schräg und musterte den merkwürdigen Alten neugierig.
»Was … was hat der Steward mit den Jungen gemacht?«, fragte sie nach einer Weile, obwohl sie bereits ahnte, was geschehen war, und die Antwort fürchtete. Der Steward konnte Katzen nicht ausstehen. Er mochte es nicht, wenn sie ihm um die Beine strichen, und behauptete, sie seien eine wahre Plage, weil sie sich ständig vermehrten. Gewiss hatte der normannische Griesgram Mim die Jungen weggenommen, um sie in einen Sack zu stecken und fortzubringen. Entweder hatte er sie erschlagen, um sie loszuwerden, oder er ließ die armen Kätzchen im Fluss ertränken! Isabelle unterdrückte ein verzweifeltes Schluchzen.
»Da!«, flüsterte Darragh, ohne auf ihre Frage geantwortet zu haben. Seine Augen leuchteten auf. »Da ist noch eines!« Er deutete auf den Bauch der Katze.
»Aber …« Isabelle sah ihn ungläubig an und kroch näher.
»Hier, fühl!« Das Gesicht des Alten verzog sich zu einem strahlenden Lachen und zeigte drei dunkel verfärbte Stummelzähne mit riesigen Lücken dazwischen. Als Darragh nach ihrer Hand griff, wollte Isabelle sie fortziehen, doch er legte sie sanft auf den Bauch der Katze und drückte ihre schmalen Finger zart,aber bestimmt in das weiche, warme Fell. Sein Atem roch so faulig, dass Isabelle den Kopf zur Seite drehen musste.
»Ich glaube, ich fühle es!«, rief sie plötzlich aus und lächelte Darragh verdutzt an. »Ist das wirklich ein viertes Kätzchen?«
»Pst!« Der Alte legte den Zeigefinger auf den Mund.
Isabelle nickte gehorsam. »Wenn der Steward davon erfährt, dann tötet er es ebenfalls«, flüsterte sie. »Was sollen wir jetzt tun?« Ohne darüber nachzudenken, hatte sie »wir« gesagt.
»Ich weiß ein Versteck!«, raunte ihr der Alte zu. »Im Wald!«
»Aber ich darf nicht allein in den Wald!«, protestierte Isabelle und schüttelte heftig den Kopf. Wäre doch nur Conall
Weitere Kostenlose Bücher