Der goldene Thron
einmal zu.
»Hm«, brummte sie nur mürrisch. Wie ärgerlich, dass Conall stets fortmusste, wenn es am lustigsten war! Gelangweilt riss sie einen der langen, ährenartigen Grashalme aus, die über den Sommer gewachsen waren und ihr nun bis fast zur Hüfte reichten, schälte die beiden Blätter ab, die ihn seitlich umfassten, undsteckte den dürren Stängel in den Mund. Dann machte sie sich auf den Weg zurück zur Burg.
Ihr Vater hatte den Wohnturm und die wehrhaften Palisaden, die ihn umgaben, aus mächtigen Eichenbalken errichten lassen. Seit Generationen schon hatten Isabelles Vorfahren ihre Hallen auf dem schroffen Felsen gebaut, der sich über dem Nore erhob, und ihr Vater hatte diesen Brauch fortgeführt. Strongbow – so hatten seine Männer ihn genannt – war einer jener normannischen Ritter gewesen, die nach Irland gekommen waren, um ihr Glück zu machen, und nach seinem Tod hatte der König sein Weib und seine Tochter unter seinen Schutz gestellt.
Ein herablassendes Zischen entwich Isabelle. Sie konnte die Normannen nicht ausstehen. Zwar beherrschte sie ihre vornehm näselnde Sprache beinahe so gut wie das Irische, doch dass normannische Frauen der Besitz ihrer Männer waren, so wie Pferde, Kleiderkisten und Tafelgerät, empörte sie zutiefst. Irische Frauen, so wusste sie von ihrer Mutter, waren stolz und eigensinnig. Isabelle reckte das Kinn. Niemand konnte eine Irin zwingen, Dinge zu tun, die sie nicht wollte. Schon gar nicht, sich einem Mann wie eine Hündin zu unterwerfen. Auch ihre Mutter hatte sich den fremden Normannen nicht aufzwingen lassen. Sie hatte sich aus Gründen der Vernunft entschieden, der Eheschließung zuzustimmen.
Isabelle fehlte jede Erinnerung an den Vater. Sie war noch zu klein gewesen, als er gestorben war. Nur die spärlichen Erzählungen ihrer Mutter ergaben ein vages Bild. Es waren wenige karge Worte über einen Mann, der Aoife innig geliebt und sie entgegen seinen normannischen Bräuchen stets hoch geachtet hatte, den sie aber nicht hatte wiederlieben können, weil ihr Herz bereits einem anderen gehört hatte. Immerhin hatte sie ihn schätzen gelernt und ihn geachtet. Zwei Kinder hatte ihnen der Herr geschenkt. Gilbert, Isabelles älterer Bruder, war vom ersten Tag an ein kränklicher Junge gewesen und noch als Knabe von einem Fieber dahingerafft worden. Darum war Isabelle nun die künftige Erbin von Kilkenny.
Der Steward, ein normannischer Ritter und enger Vertrauter ihres verstorbenen Vaters, sorgte für die Sicherheit auf der Burg. Isabelle schnaufte bei dem Gedanken an ihn. Er lächelte nie und sah sie stets so merkwürdig an. In ihrem ganzen Leben, so schwor sie sich, würde sie niemals einen normannischen Ritter heiraten, komme, was da wolle. Sie war eine irische Prinzessin, und nur ein irischer Prinz oder König war ihrer würdig!
Isabelle warf einen Blick hinauf zur Burg. Zuweilen kamen große Scharen normannischer Ritter und Soldaten nach Kilkenny, um die Stärke und Macht ihres englischen Königs zu demonstrieren. Einem Heuschreckenschwarm gleich, fielen sie über die Vorräte der Burg und der irischen Bauern her, soffen, schlugen sich die Bäuche voll und belästigten die Frauen. Sie verschwanden erst wieder, wenn die Speisekammern und Scheunen so gut wie leer waren. Auch Aoife musste dann einiges erdulden. So mancher Ritter ließ es an Respekt mangeln, nur weil sie Irin war. Einige warben auf so beschämend plumpe Art um die noch immer schöne, wohlhabende Witwe, dass Isabelle ihnen am liebsten an die Gurgel gegangen wäre. Ja, wäre sie ein Junge gewesen, groß und stark, so wie Conall es einmal sein würde, dann hätte sie ihnen Einhalt geboten! Als Mädchen aber musste sie zusehen, wie die Männer ihre Mutter bedrängten und immer wieder betonten, wie trefflich Aoife es doch habe, weil sie jederzeit einen von ihnen zum Gatten erwählen könne.
»Warum lässt du sie nur gewähren?«, hatte Isabelle ihre Mutter empört gefragt, als wieder einmal zwei Ritter um ihre Gunst gebuhlt hatten. »Sie behandeln dich nicht besser als eine gewöhnliche Magd!«
»Eine Königin bewahrt stets Haltung, mein Kind!«, hatte Aoife geantwortet und den Kopf noch ein wenig mehr in die Höhe gereckt. »Auch wenn es das Königreich Leinster nicht mehr gibt, so bin ich doch noch immer die Tochter von König MacMurchada!« Dann hatte sie Isabelle angelächelt und ihr den Kopf getätschelt. »Auch du wirst lernen müssen, Haltung zu wahren, denn du bist eine irische Prinzessin und
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