Der goldene Thron
»Er ist als Ehrenmann gestorben«, sagte er. »Komm. Wir müssen dich und die Kinder in Sicherheit bringen.«
Isabelle ließ Conalls Kopf vorsichtig zu Boden gleiten und nickte tapfer. Er war gestorben, damit sie leben konnte.
»Wir müssen dafür sorgen, dass er ein anständiges Begräbnis bekommt«, sagte sie mit erstickter Stimme.
Guillaume nickte. »Das werden wir, ich verspreche es.«
»Wolltest du nicht erst in einigen Tagen zurückkehren?«, fragte sie, als er sie zu ihrer Kammer brachte.
»Ich hatte plötzlich so ein merkwürdiges Gefühl«, sagte er weich. »Darum sind wir umgekehrt.« Er fuhr sich mit der Hand in den Nacken und lächelte. Das Kribbeln war verschwunden. »Sorge dich nicht, mein Liebling, es wird alles gut.«
* * *
»Herr, ich danke dir für deine Gnade«, betete Guillaume, nachdem die Kämpfe vorüber waren. Wenige Tage nur hatte die Belagerung durch seinen Gegner gedauert. Er kniete auf dem kalten Steinboden der kleinen Kapelle, die zum Wohnturm gehörte, und murmelte ein Ave-Maria. Das warnende Kribbeln in seinem Nacken und Isabelles Leben verdankte er ganz gewiss einem gütigen Gott.
Guillaume schloss die Augen und versuchte, sich an ein weiteres Gebet zu erinnern, doch seine Gedanken kehrten immer wieder zu Isabelle und den Geschehnissen zurück. Es hatte nicht langegedauert, und Kilkenny war tatsächlich angegriffen worden, genau wie Conall es gesagt hatte. Ihm allein war es zu verdanken, dass Guillaume rechtzeitig das Tor schließen und Bogenschützen auf dem Wehrgang hatte postieren lassen. Sein Verdienst war es gewesen, dass die Angreifer vergeblich versucht hatten, die Burg zu erobern, und sich schließlich unverrichteter Dinge zurückgezogen hatten. Guillaume rang nach Atem. Isabelle hatte recht gehabt. Conall war kein schlechter Kerl gewesen, nur unglücklich und eifersüchtig, was ihm nicht einmal zu verdenken war. Seine Liebe hatte Isabelle ebenso das Leben gerettet wie ihren Kindern und vermutlich noch vielen anderen auf der Burg.
Bei dem Gedanken, was hätte geschehen können, spürte Guillaume Übelkeit in sich aufsteigen. Er wusste, wie es aussah, wenn Menschen gnadenlos abgeschlachtet wurden, wenn Burgen brannten und das Vieh vor Panik schrie. All das hatte Conalls selbstloses Einschreiten ihnen erspart.
»Herr, nimm dich seiner Seele an«, murmelte Guillaume. Er hatte Conall den Kuss ebenso verziehen wie die Geschmacklosigkeiten, die er hinausposaunt hatte, und für ein anständiges Begräbnis gesorgt, so wie er es Isabelle versprochen hatte. Bei den Friedensverhandlungen mit seinem Gegner hatte Guillaume an diesem Nachmittag auch die Freigabe von Conalls Weib und seinen Kindern erreicht. Er würde ihnen in Kilkenny wieder ein Heim geben und sie mit einer kleinen Rente versorgen. Sie sollten nicht leiden müssen, weil Conall das Richtige getan hatte.
Guillaume bekreuzigte sich und stand auf. So lange auf den Knien auszuharren, war schmerzhafter als früher, doch er beschwerte sich nicht. Isabelle und den Kindern ging es gut, das war alles, was zählte. Der aufständische Baron, der Kilkenny angegriffen hatte, war Tags zuvor seinen Verletzungen erlegen. Von ihm drohte also keine Gefahr mehr. Ganz gewiss aber war er nicht der Einzige, der ihnen schaden wollte, darum hatte Guillaume die Wachen auf dem Wehrgang und am Tor verdoppeln lassen.
Dublin, Irland, Ende August 1210
S eit bald zwei Monaten verwöhnte sie die Natur mit einem strahlend blauen Himmel, an dem nur wenige wollig weiße Wolken standen. Manchmal trug der Wind sie landeinwärts, dann wieder war kein einziger Hauch zu spüren, und die Wolkenschafe schienen gemächlich am Firmament voranzuziehen und in aller Ruhe zu grasen. Schon morgens war die Luft warm, beinahe stickig, dafür duftete es spätestens in der Mittagsglut nach frischem Heu und Wiesenblumen.
Bauern, Tagelöhner und Kinder hoben neugierig den Kopf, als der Tross des Königs sich an ihren Feldern vorbeischob und den Staub der Straße aufwirbelte. Doch nicht einer von ihnen winkte oder jubelte. Gleichgültig wandten sie sich ab, beugten wieder den schmerzenden Rücken und fuhren mit der harten Arbeit fort, die sie ernährte. Hier in Irland hatte man John in keiner guten Erinnerung. Schändlich hatte er sich verhalten vor fünfundzwanzig Jahren, als er das letzte Mal auf der Insel gewesen war. Man brauchte ihn nicht, den fremden König, war man doch stets gut ohne ihn ausgekommen. Niemand hier wollte sich von ihm regieren lassen, denn er
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