Der goldene Thron
sechzig Jahren noch immer ein hervorragender Reiter war, so plagte ihn sein Rücken nach so langer Zeit im Sattel doch mehr als früher. Die meisten Ritter hatten es ihrem König bereits gleichgetan, ihre Pferde den Pagen, Knappen und Stallburschenüberlassen und waren John in die Halle gefolgt, um sich mit Wein zu erfrischen und ihren Herrn zu beraten.
»Geh nur, Jean, ich komme nach!« Guillaume nickte Erlée auffordernd zu. Einen Augenblick Ruhe erhoffte er sich, bevor auch er dem König folgen würde.
Zwei junge Damen, offenbar aus adeligem Haus, die kichernd zur Halle liefen, fielen ihm auf. Der König hatte gern Weibsvolk um sich, Mägde, Huren und höhere Töchter. Er scherzte, turtelte und trank mit ihnen und ließ sich in der Nacht von so mancher das Bett wärmen, wenn seine Königin fern war.
Guillaume hatte solchen Tändeleien nie etwas abgewinnen können und schüttelte geringschätzig den Kopf.
John betrog jeden, sogar seine Gemahlin. Dabei war er ihr doch die ersten Jahre ihrer Ehe so heillos verfallen gewesen. Aber der König musste sich an keine Regel halten. Nicht einmal vor Mord schreckte er zurück. Er hatte die Kirche und den Papst herausgefordert und kannte keine Grenzen. Wenn er so weitermachte, statt sich zu läutern, würde ihm das Tor zum Paradies wohl auf ewig verschlossen bleiben.
Guillaume überquerte den Hof und wich einem Ganter aus, der ihm fauchend und mit drohend gerecktem Hals entgegenlief. Als ein Berittener in den Hof preschte, drehte Guillaume sich neugierig um. Sie waren kaum angekommen, und schon gab es Neuigkeiten? Er beschleunigte seinen Schritt, um vor dem Boten in der Halle anzukommen, doch der Mann schien es überaus eilig zu haben.
»Verzeiht, Mylord!«, schnaufte er, und noch bevor Guillaume die ersten Stufen hinaufgestiegen war, drängte er sich an ihm vorbei und stürzte nach oben.
Hoffentlich bringt er wenigstens gute Nachrichten!, dachte Guillaume, sah ihm kopfschüttelnd nach und stieg die Treppe hoch.
»Herrgott, Maréchal!«, brüllte der König, als Guillaume die Halle betrat. »Warum in Gottes Namen könnt Ihr nicht einmal etwas richtig machen?« John kam mit langen Schritten auf ihn zu.
Guillaume verstand nicht, was der König meinte, und zog die Augenbrauen zusammen.
»Lady de Braose«, sagte der König aufgebracht, »ist die Flucht aus Carrickfergus gelungen. Gnade Euch Gott, Maréchal, wenn es meinen Männern nicht gelingt, Hand an das Weib zu legen!«
»Sire?« Guillaume sah den König fragend an. »Was habe ich damit zu tun?«
»Ihr!«, schrie John außer sich vor Wut. »Ihr seid schuld!« Er starrte ihn feindselig an. »Hättet Ihr meinen Todfeind de Braose nicht kürzlich noch beherbergt, dann wäre die Angelegenheit längst erledigt, und ich müsste mich nicht über dieses schändliche Weib ärgern! Ihr habt mich verraten, Maréchal!« John wollte schon mit dem Zeigefinger in Guillaumes Brust stoßen, besann sich jedoch offenbar eines Besseren und wandte sich ab.
»Mylord«, erwiderte Guillaume gereizt und räusperte sich, um Ruhe zu bewahren. »Ich habe meinen Freund und Herrn aufgenommen, als er in der Nähe meiner Burg gestrandet ist und in Not war. Dass ich ihn versorgt habe, als es ihm schlecht ging, dürft Ihr mir nicht verübeln, denn ich wusste ja nicht, dass Ihr ihm gram seid. Als ich in England an Eurer Seite weilte, war er noch Euer Freund und Vertrauter, woher also sollte ich ahnen, dass ich Falsches tue?«
Mehr als ein Jahr war es her, dass Guillaume de Braose Unterschlupf gewährt hatte, und nicht ein einziges Mal in den vergangenen Wochen hatte John auch nur ein Wort darüber verloren. Warum also jetzt? Fiel ihm nichts Besseres ein, um seinem Ärger Luft zu machen, als Guillaume die Verantwortung für seine Niederlage zuzuschieben? Ausgerechnet ihn, seinen treuesten Mann, beschuldigte er des Verrats! Guillaume gelang es nur mühsam, nicht aus der Haut zu fahren. Er war den Verfolgungswahn und die ständigen Vorwürfe Johns so unendlich leid!
»Sire, sollte unter den hier Anwesenden außer Euch noch jemand der Meinung sein, dass ich absichtlich gefehlt habe, was de Braose angeht, so unterwerfe ich mich, ohne zu zögern, dem Urteil eines Zweikampfes!« Guillaume sah sich herausforderndunter den Männern des Königs um. Viele Male schon hatte er in seinem Leben ein Duell als Richtspruch angeboten, doch niemals hatte sich ein Ritter in der königlichen Entourage gefunden, der es gewagt hätte, gegen ihn anzutreten.
Auch diesmal
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