Der Goldschmied
wenn Euch das genehm ist. Alles Material wird zu unseren Kosten gehen. Dies lässt man Euch versprechen. So, wie Ihr es fertigt, so sei es. Wir vertrauen auf Eure kundige Hand.«
Fallen nickte und bestätigte den Auftrag mit einem Handschlag. So war es Brauch und Gesetz der Innung zu London.
Von dem Augenblick an, als der Mönch den Auftrag seines Ordens überbracht hatte, war dem alten Goldschmiedemeister Peter Fallen klargeworden, dass er solch ein Werk nicht mehr alleine ausführen konnte.
Er hatte es in den letzten Monaten immer stärker gespürt: Eine Krankheit hatte seine Hände befallen. Es begann immer mit einem seltsam tauben Gefühl in allen Gelenken der Finger. Feine Arbeiten konnte er nicht mehr ausführen. Die schmerzgekrümmten Finger wollten sich kaum mehr um das Heft eines Stichels oder den schlanken Hammerstiel legen. Mehr als einmal musste Gwyn ihm bereits die Finger behutsam lösen, weil sie sich im Schmerz verkrampft hatten. Dann saß Fallen lange heftig atmend vor seiner Arbeit und kämpfte mit sich und der Gewissheit, dass er am Ende seines Schaffens war. Manchmal, wenn er glaubte, dass Gwyn ihn nicht sah, weinte er still. Vor Wut und zugleich in einer großen Trauer, der er sich nicht erwehren konnte. Die vielen Jahre in dem ständig feuchten Haus, die elenden Tage des Hungers und sein hohes Alter hatten Spuren hinterlassen. Er spürte es immer deutlicher, wo sein Geist noch einmal weitergeben wollte, was er in den Jahren gelernt und erfahren hatte.
So war es auch jetzt. Mit der Faust den feinen Silberstift umklammernd, wollte er die Entwürfe für diesen Auftrag zeichnen. Aber diese so schöpferische Hand gehorchte ihm nicht mehr.
In dieser Nacht begann er, einen Entwurf an die weißgetünchte Wand seiner Schlafkammer zu zeichnen. Ein dickes Stück Holzkohle diente ihm dazu als Zeichenstift. Lange Zeit skizzierte er, verfolgte Ideen, die ihm erst gut und richtig erschienen, um sie Stunden später wieder zu verwerfen. Er fühlte sich herausgefordert und getrieben wie lange nicht mehr. Noch einmal, vielleicht ein letztes Mal, konnte er seine große Kunst als Goldschmied zeigen. Dann würde nur noch sein Geist Gwyn lehren können. Denn seine Hände wie auch seine Augen würden nicht mehr besser werden. Das war gewiss, und dies wusste er.
Aber in all den Stunden war er nicht sehr weit gekommen. Mehr und mehr fühlte er sich müde und ratlos. Es war ihm bewusst, dass dieser Entwurf unter diesen Bedingungen lange dauern würde, zu lange! Wie ihm Bruder Thomas noch beim Abschied eindringlich sagte, könne der Orden nicht mehr warten. Denn auch Gevatter Tod würde nicht mehr warten, um den steinalten Abt zu holen.
Voller Gedanken, müde und ein wenig frierend, humpelte Fallen durch die engen Gänge seines Hauses. Durch einen Spalt in Gwyns Kammertüre bemerkte er noch Licht. Schlief der Junge noch nicht? Er öffnete leise die Türe und trat ein.
Gwyn war auf seinem Strohsack eingeschlafen. Nur ein winziges Öllicht brannte noch. Auf dem Boden verstreut lagen Pergamente mit Entwürfen und Skizzen, und neben dem Schlafenden lag ein weiterer Bogen Pergament. Der Schlaf musste ganz plötzlich über den Jungen gekommen sein. Sogar den dünnen Silberstift hielt er noch in der Hand. Fallen nahm ihn behutsam weg. Das Pergament nahm er ebenfalls an sich. Wollte der Junge selbst einen Entwurf fertigen? Ein wenig vermessen, aber es würde zu Gwyns wachem Geist passen. Neugierig rollte Fallen das Blatt auseinander und wagte einen Moment lang kaum zu atmen. Nicht so sehr, weil er glaubte, der Junge könne aufwachen.
Er betrachtete das Blatt vor sich mit einem ungläubigen Staunen. Es wurde ihm von einem Moment zum anderen klar: Dies hier war der endgültige Entwurf. Die Zeichnung zeigte einen Kelch aus getriebenem Gold, von einer Höhe wie zwei Hände aneinandergelegt, im Rund kaum weniger groß. Die Schale war eher flach, viel flacher als die bisherigen Kelche, die von Könnern seines Standes gefertigt wurden. Und alles ruhte wie aus einem Guss auf einem gestürzten Halbrund aus demselben Metall, im Rund etwas kleiner, aber harmonisch und exakt zu der übrigen Form passend.
Eine perfekte Arbeit, kühn in der Idee, ausgereift im Entwurf und zu verwirklichen. Dieser Junge, wohl noch ein Lehrling, war auf dem Weg zu einem genialen Künstler. Peter Fallen rollte vorsichtig das Pergament zusammen und löschte das Licht.
In seine Kammer zurückgekehrt, nahm er ein feuchtes Tuch und wusch seine verschiedenen
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