Der Goldschmied
lässt sich dehnen und zerren, strecken und straffen gleich einer dünnen Haut. Geduld und Wissen sei dir Gefährte. Also messe dich mit dem Metall.«
Nach vielen Stunden lag das Blech gleichmäßig getrieben vor ihnen. Gwyn war müde, aber stolz auf diesen ersten Erfolg. Mit einem Bechereisen begann er nun, das größere Stück zu formen. Treiben nennt dies der Faber. Unzählige Stunden hatte Gwyn diese besondere Technik erlernt und dabei schnell gezeigt, wie scheinbar leicht er Metall in Form und Gestalt bringen konnte. Jeder Schlag des Hammers ist wie im Voraus geplant. Jeder Hieb muss sitzen. Ein Schlag zu fest hieb Kerben in das Blech. Der Schlag zu weich ließ das Eisen nutzlos abgleiten und veränderte die Oberfläche. Den Mittelweg zu finden, darin lag die Kunst. Die Großen ihrer Zunft schlugen ein Stück Blech zu einem Becher, so gleichmäßig und schnell, wie eine heilige Messe dauert. Gwyn hatte solch große Flächen bisher nie bearbeitet. Aber mit jedem Schlag fühlte er sich sicherer. Fallen stand immer bei ihm, und der Lehrling spürte das Wohlwollen seines Meisters, ohne dass beide ein Wort miteinander sprachen.
Über einem Sattelholz schlug Gwyn lange Falten in das dünn gewordene Blech, die er im nächsten Durchgang wieder quer verschlug. Verschlichten nennt dies der Faber. Immer wieder wurde der Rohling im Brennofen durchgeglüht und anschließend gebeizt. Dies tat Fallen selbst, so dass sich Gwyn in diesen Pausen ausruhen konnte. Längst hatten die Hammerschläge einen weichen melodischen Klang. Längst waren die Hämmerköpfe, welche er jetzt benutzte, leicht und rund geworden. Der letzte Hammer war kaum größer als die Kuppe eines Männerdaumens.
Immer wieder setzte Gwyn das Eisen ab. Dann begann Fallen, mit Messzirkel und Richteisen Wölbung und Maß des Bechers zu prüfen. Dort, wo das feine Metall noch nicht ganz genau geformt war, trieb Gwyn die Form erneut über dem Bechereisen. So aufgetieft, wurde in vielen Stunden Arbeit aus dem dünnen Goldblech eine weite, flach gewölbte Schale mit einem Rand. Entgegen aller Mode sah Gwyns Entwurf einen feinen, kaum merklichen Rand vor. Er trieb das Blech der Schale erneut mit feinen Hammerhieben immer der Rundung folgend, bis die Wölbung verschlichtet war. Mit kurzen, gleichmäßigen Schlägen trieb er das Metall in diesem Rund so lange weiter, bis es so dünn auslief wie ein Bogen Pergament. Jetzt war der Rand wie die ganze Schale: weich in der metallenen Wölbung und glatt wie die Oberfläche einer Kugel.
Fallen war zufrieden.
Am nächsten Tag schufen sie beide genau solch eine Schale noch einmal, jedoch geringer im Durchmesser und sehr viel flacher gewölbt. Dies würde der Standfuß des Kelches werden. Am darauffolgenden Abend löteten Gwyn und sein Meister beide Teile aneinander. Diese Prozedur dauerte lange, bis spät in die Nacht, und es stank furchtbar nach Schwefel und heißem Metall. Aus dem offenen Werkstattfenster quoll der Rauch so stark, dass Fallen mit einem leinenen Tuch wedeln musste. Sonst glaubte am Ende gar die Nachtwache des Magistrates auf der Straße an ein Feuer in Fallens Haus. Ein Alarm hätte ihre Arbeit zu dieser Zeit nicht nur gestört, sondern gar zunichtegemacht. Endlich aber ruhte der ebenmäßig geformte Kelch auf seinem getriebenen Sockel und kühlte ab. Fallen wedelte mit einem Stück Blech kühle Luft an das Werk, um das heiße Metall langsam abzukühlen.
Dann vermaß er den Kelch mehrere Male. Er verglich jedes Ergebnis immer wieder mit den vorgegebenen Maßen des Entwurfs. Seine feinen Geräte konnten keine nennenswerte Abweichung erfassen. Peter Fallen war zufrieden und stolz, auf sich, seinen Lehrling und sein Handwerk. Ein Gefühl, das er so seit Jahren nicht mehr gespürt hatte. Wie betrunken fielen beide Männer an diesem späten Abend in ihre Betten.
Die nächsten Tage war Gwyn weiter beschäftigt. Mit Punzeisen und Hammer trieb er feine Muster und Ornamente in die Schale. Ziselieren nennt dies der Faber. Der Entwurf sah ein Nielleo vor, eine ganz besonders prächtige Ausführung der vorher ziselierten Oberfläche. Dabei wird ein Überzug in die vorher fein geöffneten Vertiefungen aufgebracht. Die richtige Paste dafür rührte Fallen selbst an. Es war sein eigenes Rezept: Teile von Silber, reinem Kupfer, ein wenig Blei, Schwefelpulver und Borax. Diese Masse zerrieb er vorsichtig im Mörser zu feinem Staub. Dann schmolz er das Gemenge in einer winzigen Tonschale. Gwyn strich diesen heißen,
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