Der Gottbettler: Roman (German Edition)
war’s«, sagte der Untote.
»Ja …« Terca wollte offenbar noch mehr sagen, doch auch sie musste den Kopf unter Rudynar Poles Blick senken und verstummte.
»Ihr beide geht jetzt. Der Stumme Junge bleibt bei mir.«
»Aber …«
»Kein Wort, Wicca! Eure Aufgabe ist erfüllt, meine fängt eben erst an. Verschwindet, bevor ich’s mir anders überlege!«
Terca wich zurück, bleich geworden. Sie zog Pirmen mit sich, er folgte.
Er wollte etwas sagen, sich bedanken oder sich verabschieden oder was auch immer, doch es wollte ihm nichts einfallen. Diese Gestalt, sie hatte nichts mehr mit dem Säufer Rudynar Pole gemeinsam. Der zwischenzeitliche Tod hatte ihn neu geformt, hatte ihn zu einem völlig neuen Wesen werden lassen, das keinerlei Beziehung mehr zu seinen früheren Begleitern duldete, weder im Guten noch im Bösen.
Sie verließen die Insel über die Brücke, deren Holz morsch und brüchig geworden war. Auch hier lagen Tote, und ebenso in den Straßen jener Stadtteile, die sie nun querten, so rasch wie möglich. Überlebende hatten sich hinter Holzverschlägen oder hinter den Türen ihrer Häuser versteckt. Kaum jemand ließ sich blicken. In der Ferne donnerte es, eine Bö brachte einige wenige Regentropfen mit sich.
Pirmen beeilte sich, so gut es ging. Er blickte nicht nach links und nicht nach rechts. Er fühlte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Als wäre jemand hinter ihm her und wollte ihm schlimmere Dinge antun als ihn einfach nur zu töten. Weg, nur weg, ja nicht zurückblicken!
21. Abgesang
Hunderte, ja, mehr als tausend Laufe lagen zwischen den Städten Gallwar und Poitrea. Die Rückkehr würde dreißig Tage und mehr dauern, doch was war schon Zeit? Sie war ein flüchtiges Gespinst, das kaum ein Wesen so fühlte wie das andere. Die Geschehnisse der letzten beiden Tage, die sie auf der Stadtinsel verbracht hatten, hatten Terca zu diesem Thema völlig neue Denkansätze geliefert. Die Zeit war wie im Fluge vergangen, die Welt hatte sich weitergedreht, während diese beiden Titanen, der untote Rudynar Pole und der Gottbettler, miteinander gerungen hatten.
Pirmen humpelte hinter Terca her. Er nutzte seine Magie, um sich rascher fortzubewegen, und er tat dies völlig unbewusst. Er hatte viel dazugelernt während der letzten Wochen.
Terca widerstand dem Drang, sich umzudrehen und einen letzten Blick auf die Stadt Gallwar zu werfen. Sie wollte nicht wissen, was dort geschah. Es gab genug Fragen, die ihr durch den Kopf schwirrten und auf die sie keine Antworten wusste.
War der Gottbettler wirklich gestorben, oder hatte er sich bloß verflüchtigt, um weit weg von hier neue Kräfte zu sammeln und einen weiteren Versuch zu starten, den Weltenkreis nach seinen Vorstellungen zu gestalten? Was und wer war er gewesen? Und was hatten die Sibyllen mit ihm zu tun gehabt?
Was würde mit den Soldaten geschehen? Würde Rudynar Pole das Heer auflösen oder es neu formieren, um eigene Ziele zu verfolgen? War er womöglich eine weit schrecklichere Gefahr, als es der Gottbettler je gewesen war? Was hatte er mit seinem Sohn vor, mit dem Stummen Jungen? Würde er ihn instrumentalisieren? Würde er den Kontakt zur Mutter suchen, zur Sibylle?
Wann hatte sie selbst diese Prophezeiung ausgesprochen, die letztlich zum Untergang des Gottbettlers geführt hatte, und warum konnte sie sich nicht mehr daran erinnern? Welches seltsame Schicksal hatte das Bauernmädchen Gunguelle an der Seite Metcairn Nifes bis hierher geführt, und wohin war es verschwunden?
Die Zeit hatte Terca gelehrt, dass nur die wenigsten Fragen je beantwortet wurden. Selbst sie, deren Leben bereits Jahrtausende währte, stand einer Vielzahl von Dingen ratlos gegenüber. Andernfalls hätte sie nicht diese ganz besondere Todessehnsucht verspürt, die bereits wieder erwachte und sie zurücktrieb nach Poitrea. In die Wand, deren Magie sie hoffentlich irgendwann einmal über die Schwelle des Todes würde schreiten lassen.
»Ich hasse dich«, sagte Pirmen. »Ich konnte dich bereits auf dem Hinweg nicht riechen. Der Gedanke, mit dir den ganzen weiten Weg nach Griam zurückzukehren, ist mir schier unerträglich.« Er spuckte aus.
»Was hast du vor, wenn du in Griam bist?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich nehme ich einen der magischen Türme in Beschlag und widme mich meinen Studien.«
»Du wirst auf Widerstand stoßen. Nach Larex’ Tod sind sicherlich Machtkämpfe um die Stadtherrschaft ausgebrochen. Möchtest du etwa zwischen die Fronten uralter, eitler
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