Der Gottbettler: Roman (German Edition)
im Nichts verloren und keinen Sinn mehr ergaben.
Das war seine Heimat. Sie war voll von Wissen und Staunen, und alles, das er darin erblickte, fühlte, roch, schmeckte, erschien völlig logisch. Diese Welt trug weder Chaos noch Untergang in sich. Es gab auch keinen Schmerz und keine Fragen nach dem Warum. Alles erklärte sich aus sich selbst.
Der Gottbettler löste sich bedauernd aus diesem seinem Universum und kehrte in das zurück, was allerorts als »Wirklichkeit« bezeichnet wurde, obwohl es dafür nicht den geringsten Beweis gab.
Seine Gäste waren bis auf wenige Schritte herangekommen. Er strengte sich an und formulierte Worte, die die anderen verstehen konnten. Hoffentlich. Denn nicht immer wählte er die richtige Sprache.
»Bleibt stehen«, sagte er. »Ihr seid böse, und ich muss euch jetzt töten.«
Das war der Gottbettler? Diese bedauernswerte Gestalt, die armseliger als er selbst wirkte? Deren Hände zitterten und deren Kopf von Fliegen umschwirrt wurde? Deren Blick unstet war und die sichtlich Schwierigkeiten hatte, sich in dieser Welt zurechtzufinden?
Und erst die Stimme! Sie war piepsig und überschlug sich immer wieder. Die Worte waren die eines zurückgebliebenen Kinds, mühselig hervorgepresst und unsicher klingend.
»Du weißt, wer wir sind«, sagte Terca. »Du weißt, dass wir gekommen sind, dich zu vernichten.«
Der Gottbettler lachte. Sein Blick glitt immer wieder zum Stummen Jungen. »Die Prophezeiung … Sie ist nichts wert. Ihr seid bloß zu dritt, ihr solltet aber zu viert sein. Wer hat nun gewonnen? Ich! ICH !«
Pirmen wollte ihn mit seinen Kräften packen – und griff ins Leere. Der Gottbettler war nicht greifbar. Sobald Pirmen ihn zu fassen versuchte, zerfaserte sein Geist und setzte sich an anderer Stelle wieder zusammen.
Das unheimliche Wesen starrte ihn an. »Hören Sie auf! Ich mag das nicht!«
Pirmen fühlte sich vom Blick des anderen gebannt. Er spürte, wie unheimliche Kälte über seinen Rücken kroch, sich in seinem Nacken einnistete und es irgendwie schaffte, direkt unter seinen Schädel abzustrahlen. Es fühlte sich an, als würde das Innere seines Kopfes zu Eis gefrieren.
»Lass das bleiben!« Terca kam ihrem Gefährten zu Hilfe. Sie streckte die Hände aus und tat einige Dinge, die Pirmen nicht verstand, die aber dafür sorgten, dass der Gottbettler seine Konzentration verlor und das Gefühl der Kälte rasch wieder nachließ.
»Es ist nicht gerecht, wenn Hexe und Magicus zusammenarbeiten!«, sagte der Gottbettler und stampfte erzürnt mit einem Fuß auf. »Das ist nicht richtig!«
»Jetzt!«, sagte die Wicca. »Gib alles, was du hast!«
Pirmen konzentrierte sich. Auf seinen Zorn. Auf diese in seinem Inneren wachsende Kraft, die zwar noch längst nicht ausgereift, aber dennoch stärker war, als er es jemals für möglich gehalten hätte.
Terca war ihm mit einem Mal nahe, sehr nahe. Sie verband ihre Fähigkeiten mit den seinen, und gemeinsam tasteten sie nach dem Gottbettler.
Der lachte auf. Wehrte sich ohne besondere Mühe gegen ihre Anstrengungen. Ließ die langen, dünnen Finger seiner Rechten tanzen, als würde er an Strippen ziehen, an denen sie hingen, und winkte mit der anderen Hand einige Gestalten herbei, die sich bislang im Schatten des riesigen Müllbergs verborgen hatten.
Der Stumme Junge trat zwischen sie. Er sagte seltsame Dinge, die Pirmen nicht verstand. Und offenbar ebenso wenig der Gottbettler, denn er wirkte mit einem Mal verwirrt und hielt inne. Der Druck in Pirmens Kopf ließ nach, und er gestattete sich ein kurzes Aufatmen.
»Ihr drei seid zu wenig«, sagte ihr Widersacher und fügte wie ein zorniges Kind hinzu: »Lasst den Blödsinn sein, ich will euch endlich umbringen!«
»Du weißt, dass du das nicht kannst«, behauptete Terca, die blass geworden war. »Nicht, solange uns der Stumme Junge beschützt.«
Ein sirrendes Geräusch erklang, gleich darauf zuckte ihr junger Begleiter heftig zusammen. Entsetzt starrte Pirmen den Bolzen an, der aus dem Irgendwo gekommen war. Er stak in der Brust des Jungen. Sein Hemd färbte sich rot. Die Beine knickten unter dem Jungen weg, und er fiel zu Boden.
Terca reagierte so rasch, als wäre sie auf einen derartigen Zwischenfall vorbereitet gewesen. Sie warf sich neben dem Stummen Jungen auf die Knie. Mit aller Kraft und Verbissenheit zerrte sie ihm den Bolzen aus dem Leib, warf ihn achtlos beiseite, kümmerte sich um die Wunde. Sie nahm Pirmens Hand, der neben ihr zu Boden gesunken war, und legte
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