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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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dem Fliesenboden. Dreht er sich zu mir um?
    Ich rühre mich nicht. Er kann mich weder sehen noch hören, doch ich bin sicher, er spürt, dass ich hier bin.
    Hoffentlich steht er nicht neben dem …
    Allmächtiger Gott!
    … neben dem Geheimversteck des Patriarchen! Unter einer Bodenplatte hatte Joachim die Baruch-Apokalypse verborgen, die Mar Abdul Masih ihm gebracht hatte.
    Als er sich vom Lesepult abwendet, schlägt die Klinge seines Schwertes mit einem metallischen Schwingen gegen das Holz. Während er mich zwischen den hohen Bücherregalen sucht, ziehe ich meinen Dolch. Er gibt sich keine Mühe mehr, leise zu sein. Er will mich in Panik versetzen. Er will, dass ich mein Versteck verlasse und zu einem der Fenster husche. Er will mich vor sich hertreiben und mich erwischen, bevor ich fliehen kann.
    So leise wie möglich ziehe ich meine Sandalen aus und stopfe sie in mein Gewand.
    »Alessandra?«, dröhnt seine Stimme bedrohlich aus der Dunkelheit. »Ich weiß, dass du hier bist!«
    Ich antworte nicht. Ich muss so schnell wie möglich verschwinden, bevor er die Papyri und Codices anzündet und die Bibliothek des Patriarchats niederbrennt, um mich zu finden und zu töten. Beklommen lausche ich auf das scharfe Kratzen eines Feuersteins, aber alles bleibt ruhig.
    So ruhig, dass ich zu Tode erschrecke, als plötzlich eines der Bücherregale umfällt und mit Donnergetöse alle anderen mitreißt.
    Entschlossen umklammere ich den Griff meines Dolchs und husche in geduckter Haltung hinüber zum Lesepult. Während die Regale zu Boden krachen, taste ich bereits die Steinfliesen ab. Welche ist es? Sie fühlen sich alle gleich an!
    Mit der Klinge stochere ich in den Ritzen herum, um den geheimen Mechanismus zu finden, der die Verriegelung freigibt. Vergeblich! Ich rutsche einen Schritt weiter und versuche es erneut. Ein scharfes Kratzen ertönt, als ich versuche, die nächste Bodenplatte mit der Klinge aufzuhebeln. Verflucht, es geht nicht!
    Plötzlich ist es sehr still geworden. Hat Tristão mich gehört?
    Panik steigt in mir auf.
    Ich schiebe meinen Dolch zwischen zwei Steinfliesen und ziehe ihn zu mir heran. Es knirscht leise, als der Dolch über den Stein kratzt – dann plötzlich ertönt ein metallisches Klicken!
    Mit angehaltenem Atem lausche ich. Wo ist Tristão?
    Unendlich langsam, um nur ja kein Geräusch zu machen, wuchte ich die schwere Bodenplatte hoch. Das eiserne Scharnier, an dem sie befestigt ist, quietscht leise. Dann huscht etwas Pelziges über meine Hand. Vor Schreck lasse ich beinahe die Deckplatte fallen.
    Während die Ratte fiepend zwischen den antiken Papyri verschwindet, rutsche ich in das Loch und ziehe die Steinfliese zu mir herab. Den Verschluss, den ich mit der Klinge meines Dolchs blockiere, lasse ich nicht einrasten. Denn ich weiß ja nicht, wie ich das Schloss von unten wieder öffnen kann.
    Tristão hat mich gehört. Er nähert sich bedrohlich.
    »Du entkommst mir nicht, du Miststück!«, droht er mit zornbebender Stimme. Dabei lässt er die Spitze seines Schwertes über den Fliesenboden schleifen.
    Ich husche einige Stufen nach unten, kauere mich am ganzen Körper bebend auf der steilen Treppe zusammen und warte ab, ob er die mehrere Fingerbreit hochstehende Steinplatte entdeckt. Tristão bleibt direkt davor stehen, dreht sich langsam um sich selbst, als ob er mich sucht. Mit angehaltenem Atem horcht er in die Finsternis.
    Erschrocken zucke ich zusammen, als ich eine Bewegung an meinem Arm spüre. Noch eine Ratte! Trippelnd springt sie an mir vorbei die Stufen hinauf, zwängt sich durch den Spalt und verschwindet in Richtung der Bücherhaufen. Mich schaudert vor Ekel. Wie viele sind denn noch in diesem feuchten Loch?
    Plötzlich höre ich Tristãos Stimme über mir: »Es ist sinnlos, sich zu verstecken. Ich finde dich! Sag mir, wo du die Baruch-Apokalypse versteckt hast!«
    Ein Geräusch an der Tür der Bibliothek lässt ihn herumfahren. Haben die Mönche das Donnergetöse gehört, mit dem die Regale zu Boden gepoltert sind? Ich halte die Luft an und horche. Ein Schlüssel knirscht im Schloss. Dann scheint sich jemand mit der Schulter gegen die Tür zu werfen. Doch sie gibt nicht nach, denn sie ist von innen verriegelt. Die Mönche können mich nicht retten!
    Tristão steht nun direkt vor der Deckplatte.
    Was, wenn Tristão über die Bodenklappe stolpert oder darauftritt und der Verschluss einschnappt? Was, wenn ich ihn nicht mehr öffnen kann? O Gott! Dann wäre ich lebendig begraben!
    Panisch

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