Der Gottesschrein
Sultanspalast oder im Garten deiner Villa? Es wird bestimmt eine prunkvolle Hochzeit werden. Einem Wesir von Ägypten angemessen.« Er reicht mir die Aslan Sütü. »Die Taube mit deiner Ernennung zum Wesir traf heute Nachmittag ein. Vater hatte letzte Nacht erneut einen schweren Anfall.«
»Wie geht es ihm?«, frage ich beunruhigt.
»Er klagt über Schmerzen. Er erwägt, zu meinen Gunsten auf den Thron zu verzichten, damit ich ihm als Sultan nachfolge. Er braucht dich, Yared. Mehr denn je! Und ich brauche dich auch – ohne dich kann ich nicht regieren!« Uthman hebt sein Glas. »Auf den Wesir Yared al-Gharnati! Möge Allah dich mit Weisheit segnen!« Uthman zieht einen zerknitterten Zettel aus dem Ärmel, der augenscheinlich von einer Taube gebracht wurde. »Und auf die beste Nachricht von allen!«
»Welche ist das?«, frage ich irritiert, während er seinen Raki hinunterstürzt.
»Ein Brief von Jadiya. Ein Hakim des Sultans hat sie untersucht.«
»Ist alles in Ordnung?«, sorge ich mich. »Vor unserem Aufbruch nach Mekka hat sie sich nicht wohlgefühlt. Sie hat viel geweint.«
»Weil ihr so erbittert gestritten habt. Als du entnervt deine Truhen gepackt hast, um in deine Villa bei den Pyramiden umzuziehen, da glaubte sie, sie habe dich verloren. Und als du dich dann tagelang geweigert hast, sie zu empfangen, und Benyamin sie immer wieder abgewiesen hat, ist sie zusammengebrochen. Aber nun fühlt sie sich wieder gut«, beruhigt er mich, legt mir den Arm um die Schultern und umarmt mich ungestüm. »Meinen herzlichen Glückwunsch, Yared. Allah schenke euch beiden alles, was ihr euch wünscht! Jadiya ist guter Hoffnung.«
Verwirrt starre ich ihn an.
»Nun guck doch nicht so!«, lacht Uthman. »Jadiya und du, ihr habt doch oft genug miteinander geschlafen. Jadiya ist im fünften Monat schwanger. Ich freue mich ja so für dich! Yared, mein Junge, du wirst endlich Vater!«
· Alessandra ·
Kapitel 58
Im Geheimgang unter der Bibliothek des Patriarchats
3. Miyazya 6945, 20. Dhu’l Hijja 848, 23. Nisan 5205
Ostermontag, 29. März 1445
Zehn Uhr dreißig abends
Ist dort jemand?, denke ich panisch. Der kühle Windhauch lässt mich frösteln.
Wohin führt der finstere Geheimgang?
Mit zitternden Händen taste ich die Wand ab – glatt behauene Quadersteine. Ich stehe in einem niedrigen Gewölbe, das drei Handbreit über meinem Kopf endet. Wie der Passetto, der vom Vatikan zur Engelsburg führt. Ich werde auch diesen Gang erforschen, wie damals als Kind die Gewölbe und Geheimgänge des Vatikans, während mein Vater zu einer Audienz bei Papst Martin war. Plötzlich verliert mein Dolch, den ich ins Schloss der Bodenplatte geklemmt habe, den Halt. Mit einem Höllenlärm poltert er die Stufen herunter und bleibt irgendwo auf dem Boden liegen. Fiepend flitzen mehrere Ratten an mir vorbei.
Wie gebannt starre ich die steile Treppe hinauf. Allmächtiger Gott! Die schwere Bodenfliese schließt sich durch ihr eigenes Gewicht. Mit einem metallischen Klicken verriegelt sich der Mechanismus.
Ich bin lebendig begraben.
Keuchend ringe ich nach Atem. Bleib ruhig, Alessandra! Nur keine Panik!
Ich gehe zur Treppe zurück, setze mich auf eine Stufe, ziehe mein Feuerzeug und die Kerze hervor, die ich seit der Erforschung des Labyrinths im Tempelberg mit mir herumtrage, schlage einen Funken in den Zunder und entzünde den Docht.
Da ist mein Dolch.
Ich stecke ihn ein, ziehe meine Sandalen an und folge den Ratten, die vor mir in der undurchdringlichen Finsternis rascheln. Was ist dort vorn?
Der Geheimgang führt geradeaus – aber in welche Richtung? Während ich meine Schritte zähle, versuche ich mir seinen Verlauf unter der Straße vor dem Patriarchat vorzustellen. Der Korridor führt nach Osten, doch wo endet er? O Gott, ich ahne es!
Die Augen der Ratten leuchten im Widerschein meiner Kerze. Immer wenn ich näher komme, flüchten sie den Gang ein Stück weiter hinunter. Auf dem Boden liegt etwas Zerfetztes, das ich im düsteren Lichtschein nicht sofort identifizieren kann.
Ein Buch, das die Ratten vermutlich in der Bibliothek des Patriarchen erbeutet haben. Es ist zerrissen und fleckig und stinkt ekelerregend. Ich umwickele meine Finger mit dem Saum meines Gewandes und schlage die erste Seite auf.
Eine griechische Handschrift, verfasst vom heiligen Basilios von Caesarea, dem Gründer des Basilianerordens, dem Niketas angehört hat. Dieser Foliant, vermutlich eine Abschrift aus dem vierten oder fünften Jahrhundert, ist
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