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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Tabot bezeichne einerseits den verhüllten Schrein, andererseits die geweihten Tafeln, die darin versiegelt lägen. Ohne diese Tabotat, die während der Eucharistiefeier als Altar für den Leib und das Blut Christi dienen, könne kein orthodoxer Gottesdienst stattfinden.
    Abu Salih beschrieb also keinen jüdischen, sondern einen christlichen Schrein – den er allerdings nie mit eigenen Augen gesehen hatte. Wenn dieser die Lade ist, die Menelik nach Aksum brachte, wo sind dann die Cherubim geblieben? Als Christ war Abu Salih mit dem Alten Testament vertraut. Hat er sich denn nie gefragt, wie jemand christliche Kreuze auf den Deckel der Bundeslade nageln kann? Schon das Berühren des Gottesschreins war ein Sakrileg, das die Söhne Arons und viele andere, die ihr zu nahe kamen, mit dem Leben bezahlten!
    Ratlos schüttele ich den Kopf und fahre mir mit beiden Händen über das Gesicht. Das Flackern der verlöschenden Kerze ist entnervend. Ich gebe es zu, ich bin völlig verwirrt.
    Abu Salih sprach von einem goldenen Tabutu al-Ahdi in Lalibela, das mit Kreuzen verziert war. Gebre Christos hingegen beschreibt die Lade von Aksum als einen Schrein aus stark verwittertem Akazienholz. Beide Tabotat weisen keine Cherubim auf, die die Macht Gottes bewachen!
    Obwohl Gebre Christos nicht den Funken eines Zweifels daran hat, dass die Lade von Zion in der Kathedrale von Aksum der Gottesschrein aus dem Tempel von Jerusalem ist, kann ich es nicht glauben. Und obgleich Solomon berichtet hat, dass die Gesetzestafeln einer Legende zufolge aus einem strahlenden, himmlischen Stein bestehen sollen, zweifele ich noch immer.
    Das Tabot, das Abu Salih beschrieb, erinnert mich ein wenig an die Lade der Templer im Geheimarchiv des Vatikans, in der mein Vater vor Jahren die Baruch-Apokalypse fand. Die uralte Truhe aus Akazienholz war mit drei Templerkreuzen geschmückt. War sie einst ein Tabot, das Prinz Lalibela während seines Exils in Jerusalem den Rittern vom Tempel Salomos überließ?
    Das Tabot, das Solomon nach Jerusalem brachte, war für die Grabeskirche bestimmt. Wenn ich die Lade doch nur enthüllen könnte, um zu sehen, welches Geheimnis sie birgt!
    Mit dem beklommenen Gefühl, mich immer tiefer in dieses Geflecht aus Mysterien zu verstricken, das sich um die Bundeslade und die Tempelritter rankt, schließe ich seufzend Abu Salihs Buch und bringe es zurück zu dem Bücherstapel.
    Die Flamme der Kerze hat das Ende des Dochtes erreicht. Ein letztes Flackern, und das Licht verlischt. In der Bibliothek wird es finster wie in Dantes Inferno. Leise fluchend taste ich mich um die Stapel der Pergamentcodices und Papyrusrollen herum in Richtung Tür, um den Sekretär des Patriarchen um eine Kerze zu bitten.
    Plötzlich wird die Tür geöffnet. Wie ein düsterer Schatten erscheint eine schwarze Silhouette im matten Licht des Kreuzganges. Mit dem heißen Nachtwind, der im Papyrus raschelt, weht der Gesang des byzantinischen Stundengebets in die finstere Bibliothek.
    Im ersten Moment denke ich, dass Athenagoras mir endlich die versprochene Kerze bringt. Und die Aufhebung von Lançarotes Exkommunikation, um die ich den Patriarchen gebeten habe. Doch es ist nicht Athenagoras.
    Sondern Tristão.

    Wie erstarrt verharre ich mitten im Raum. Ich wage kaum zu atmen.
    Unschlüssig steht Tristão in der offenen Tür und blickt in Richtung des noch glimmenden Dochtes der Kerze auf dem Lesepult. Dann umfasst er das Heft seines Schwertes, tritt lautlos einen Schritt näher und blinzelt in die Finsternis. Hat er mich im Schein der Fackeln im Kreuzgang gesehen?
    Nach einer Weile wendet er sich um, schließt leise die Tür und verriegelt sie. Völlige Dunkelheit erfüllt den Raum. Dann ertönt ein Knirschen. Er verbiegt den Riegel, damit ich ihn nicht öffnen kann. Tristão weiß, dass ich hier bin!
    Leise Schritte, die sich mir nähern. Ein Rascheln, wie von Pergament. Ein scharfes Reißen. Ein unterdrückter Fluch. Tristão hat einen der Bücherstapel umgestoßen. Er kann mich in der Finsternis ebenso wenig erkennen wie ich ihn.
    Ich höre, wie er sein Schwert zieht und weitergeht.
    Mir gefriert das Blut in den Adern. Lautlos raffe ich mein Gewand um mich und kauere mich auf den Fliesenboden, um der scharfen Klinge auszuweichen.
    Plötzlich bleibt er stehen. Hat er mich gehört?
    Mein Herz hämmert schmerzhaft in meiner Brust. Nur nicht bewegen!
    Endlich geht er weiter, zwei Schritte, drei, vier, dann bleibt er erneut stehen. Seine Stiefel schlurfen leise auf

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